Journale

Gehörlose Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen

Ungekürztes Manuskript der Reportage zum Thema „Gehörlose Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen“ zum Nachlesen.

Seit ein paar Monaten arbeiten erstmals Gehörlose als Pädagoginnen und Pädagogen in Wiener Kindergärten. Auf den ersten Blick tun sich da Fragen auf: Wie kann das funktionieren? Wie können Gehörlose auf Kinder aufpassen und mögliche Gefahren frühzeitig erkennen? Wie kommunizieren sie mit den Kindern?

Lisa Kronberger ist eine von sechs gehörlosen Pädagoginnen und Pädagogen, die die Stadt Wien vergangenen Sommer angestellt hat. Sie arbeitet in einem Städtischen Kindergarten in Alt-Erlaa im 23. Bezirk. In diesem Kindergarten gibt es ein gehörloses Kind, alle anderen hören ganz normal. Monika Feldner-Zimmermann hat den Kindergarten besucht.

Beitrag

Beginn Atmo spielende Kinder

Monika Feldner-Zimmermann (MFZ):
Kurz nach 9 Uhr Vormittag im Kindergarten Alt-Erlaa West. An den kleinen Tischen in der Kindergruppe sitzen Pädagoginnen und spielen mit den Kindern.

Atmo spielende Kinder

MFZ:
Am Tisch von Pädagogin Lisa Kronberger wird nicht laut gesprochen. Sie spielt Memory mit dem fünfjährigen Marc. Die Karten, die sie aufdecken, übersetzen beide sofort in Gebärdensprache. Für Marc, der ganz normal hören kann, kein Problem. Er ist es gewohnt, mit Kindergarten-Pädagogin Lisa in Gebärdensprache zu kommunizieren:

Marc:
Ja weil ich habe das gelernt von der Lisa.

MFZ:
Lisa Kronberger gehört zu den ersten sechs gehörlosen Assistenz-Pädagogen, die vergangenen Sommer ihre dreijährige Ausbildung beendet haben und nun in Städtischen Kindergärten arbeiten. Nach einem Job als Lagerarbeiterin wollte sie einen Beruf mit mehr sozialen Kontakten:

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Ich fühle mich sehr wohl im Kindergarten und bin sehr froh, diese Berufsentscheidung getroffen zu haben.

MFZ:
so Lisa Kronberger. Das Interview gibt sie in Gebärdensprache, für das Radio übersetzt wird es von Gebärdensprachdolmetscherin Elke Schaumberger. Die Kinder hätten sich schnell an sie gewöhnt, sagt Kronberger:

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Zum Beispiel haben sie auch schon alle verstanden, dass sie mir nicht zurufen können, sondern winken müssen, damit ich den Blick auf sie richte, das klappt schon sehr gut.

MFZ:
Oder die Kinder klopfen Lisa leicht auf die Schulter, wenn sie mit ihr spielen wollen:

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Dann zeigen sie mir, sie zeigen ganz einfach: du, ich und spielen. Oder sie kennen zum Beispiel schon die Namensgebärde von dem Spiel, zum Beispiel Schwarzer Peter, das kennen sie dann schon und zeigen mir einfach den Namen des Spiels in Gebärdensprache.

MFZ:
Die Kinder lernen die Gebärdensprache nebenbei. Lisa Kronberger übersetzt alles, was im Kindergarten-Alltag passiert, in Gebärdensprache. Egal ob gesungen, in den Garten gegangen oder das Mittagessen gegessen wird.

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Dann gebärde ich natürlich auch, was es zu essen gibt, zeige den Kindern die verschiedenen Vokabel, und dann gebärden die Kinder schon zum Beispiel: "Darf ich bitte noch zum Beispiel Suppe?", und ich zeige ihnen dann die Gebärde für Suppe, das Kind macht die Gebärde dann nach.

MFZ:
Lisa Kronberger ist nicht komplett gehörlos. Geschirrklappern oder einen aufgedrehten Wasserhahn hört sie leise:

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Oder wenn ein Sessel umfliegt, das hör ich auch. Ich hör´s und spür´s gleichzeitig.

MFZ:
Dennoch, wenn es um die Sicherheit der Kinder geht, verlässt sie sich auf andere Sinne, etwa auf Ausflügen:

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Ich bin das so gewohnt im Straßenverkehr, dass ich einfach mit meinen Augen alles wahrnehme, ich zähle dann immer: haben wir alle Kinder da, ich achte auf den Verkehr. Für mich ist das selbstverständlich, dass ich einfach mit den Augen alles wahrnehmen muss im Straßenverkehr.

MFZ:
Passiert im Kindergarten etwas außerhalb ihres Blickfeldes, tut sich etwa ein Kind weh, wird sie oft von anderen Kindern darauf aufmerksam gemacht. Vorbehalte der Eltern gegen die hörbeeinträchtigte Pädagogin habe es jedenfalls nicht gegeben, sagt die Leiterin des Kindergartens Marion Martinetz:

Marion Martinetz:
Da wir ja Integrationsgruppen haben, sind immer mehrere Kolleginnen als Team in der Gruppe, und daher gab´s von der Seite absolut keine Bedenken, dass etwas gefährlich werden könnte, da ja nie ein Erwachsener allein mit den Kindern ist.

MFZ:
Vielmehr hätten sich die Eltern über das zusätzliche Angebot gefreut, ebenso die Kinder, egal ob gehörlos oder nicht:

Marion Martinetz:
Für das gehörlose Kind war es eine große Erleichterung. Also er hat von Anfang an gezeigt, dass es für ihn wunderbar ist, dass endlich jemand wirklich mit ihm sprechen kann. Und für die anderen Kinder war es ganz spannend zu sehen, wie man außer mit Sprache noch kommunizieren kann.

MFZ:
Geändert hätten sich die Teamsitzungen, die nun viel disziplinierter ablaufen müssten, damit alle folgen können, erzählt die Kindergartenleiterin:

Marion Martinetz:
Vor allem die Kollegin, die gerade spricht, muss die Hand heben und kurz warten, bis man weiß, wer spricht, und dann wird gesprochen und übersetzt.

MFZ:
Lisa Kronberger würde sich eine zweite gehörlose Pädagogin im Kindergarten wünschen:

Lisa Kronberger/Elke Schaumberger:
Damit ich auch einen Austausch habe in Gebärdensprache.

MFZ:
Leiterin Marion Martinetz unterstreicht das und ergänzt, es sollte auch mehr gehörlose Kinder im Kindergarten in Alt-Erlaa geben:

Marion Martinetz:
Weil´s dann nicht so exotisch wär´. Für das Kind selbst und für die Frau Kronberger auch, weil das noch mehr zum Alltag gehört, wie alle anderen, die hier sind.

Ende Atmo spielende Kinder.