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Gastspiel im Konzerthaus
Wynton Marsalis im Gespräch
Er gilt einer der größten lebenden Jazzmusiker - der Trompeter Wynton Marsalis aus New Orleans. Vor seinem Wien-Gastspiel Ende Februar sprach Ö1 mit dem Jazz-Botschafter über Konzertsäle, Freiheit und über seine Version des Jazz.
5. März 2020, 02:00
Marsalis entstammt einer wahren Musiker-Dynastie, einer Dynastie mit Durchhaltevermögen und Einfluss. Erst vor wenigen Tagen ließ Vater Ellis Marsalis verlautbaren, dass er ab nun nicht mehr wöchentlich, sondern etwas seltener in seinem Stamm-Club auftreten werde. Ellis Marsalis ist 85. Auch Wyntons Brüder Branford und Delfeayo sind höchst aktiv. Wynton Marsalis ist aber nicht nur angesehener Musiker - seit über 30 Jahren steht er der Jazz-Abteilung am New Yorker Lincoln Center vor. Mit dem dazugehörigen Orchester kommt er Ende Februar für gleich drei Auftritte hintereinander ins Wiener Konzerthaus.
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Kulturjournal | 03 02 2020
Gleich mit seinem ersten Album gewann er nicht nur einen Grammy in der Sparte Jazz, sondern auch noch einen im Bereich Klassik. Das war 1983 und Wynton Marsalis war gerade einmal 23 Jahre alt. Mit 24 wiederholte er das Kunststück und zeigt seitdem wenig Bestreben sich mit herausragenden Leistungen zurückzuhalten. Mittlerweile ist Wynton Marsalis Ritter der französischen Ehrenlegion, Ehrendoktor von 29 Universitäten, es gibt Statuen von ihm, und daheim hortet er die Schlüssel zu über fünfzig Städten. Hochbegabt und hochdekoriert. In den USA gilt er als Jazz-Lehrer der Nation und global als eine Art Jazz-Botschafter.
Jazz-Ritter, aber kein Romantiker
Im Wiener Konzerthaus stehen zum Auftakt bei "Braggin‘ in Brass" die Blechbläser im Mittelpunkt, am zweiten Abend huldigt Marsalis Thelonious Monk bevor er sich zum Finale seines Konzertreigens neuen Jazzklängen aus Südafrika widmet. Ob es für ihn Momente gibt, in denen er die Unmittelbarkeit und die Intimität kleiner Jazzclubs vermisst? Marsalis ist kein Romantiker. "Als ich aufgewachsen bin, war ich oft genug mit meinem Vater in kleinen Clubs und es waren keine Leute da. Ich habe also keine romantische Vorstellung von kleinen Jazzclubs", sagt er im Ö1-Interview. "Mit 14, 15 Jahren habe ich damit begonnen, in Konzerthallen zu spielen, in Turnsälen und Gefängnissen, bei Picknicks, in Parks und bei Paraden. Wir haben auch auf dem Dach eines Supermarkts gespielt, drei Bands gegeneinander und unten haben 2.000 Leute getanzt. Das Gefühl der Gemeinschaft dort oben auf dem Dach war unglaublich. Wenn ich also in einer fantastischen Konzerthalle spiele, dann denke ich mir nicht: ich würde jetzt lieber in einem Club sein. Ich kann ja nach der Konzerthalle immer noch in einen Club gehen und dort spielen."
Wir rühmen uns damit, das Land der Freiheit zu sein. Dabei sperrt kein Land der Welt mehr Leute hinter Gitter als wir
Jazz ist für Wynton Marsalis nicht nur der kulturelle Code Amerikas, die musikalische Sprache seiner Heimat, sondern auch historisches Gefäß. Im Jazz und in seiner Tradition sei die Geschichte der afro-amerikanischen Bevölkerung eingeschrieben. Daher ist es Marsalis auch so wichtig, die Wurzeln des Jazz weiterzugeben. Harmonie zwischen den Bevölkerungsgruppen sieht er auch heute noch nicht verwirklicht. "Gruppen- und Stammesdenken ist aber ein globales und kein rein amerikanisches Problem", sagt Marsalis. "Der Unterschied ist nur, dass wir uns damit rühmen, das Land der Freiheit zu sein. Dabei sperrt kein Land der Welt mehr Leute hinter Gitter als wir."
Hip-Hop als Minstrel-Show
1987 gewann Marsalis für sein Jazz Oratorium "Blood on the Fields" den Pulitzer-Preis. Das Werk kreist um den Weg eines Paares aus der Sklaverei in die Freiheit. Unterdrückung und Rassismus sind auch Kernthemen von Hip-Hop. Den wiederum lehnt Marsalis vehement ab. Im Gegensatz zu Jazz, den der Trompeter als eine Musik des Dialoges preist, würde Hip-Hop die Gräben nur noch vertiefen. Für Marsalis sind die Bilder, die Hip-Hop erzeugt, schlicht schädlich und zerstörerisch.
"Die Musik, von der ich spreche, wird von einer Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. So wie die Minstrel-Shows mit ihren als Schwarze geschminkten weißen Sängern auch schon immer von einer Mehrheit gutgeheißen wurden, denen es aus irgendeinem Grund gefällt, wenn sich Menschen als Nigger und Bitches bezeichnen. Ich will das nicht hören. Es geht um die Auswirkungen dieser Bilder auf uns und unsere Nation. Und die Auswirkungen können sie ja sehen."
Das Jazz-Evangelium nach Wynton
Als Leiter des "Jazz at Lincoln Center" lehrt und verbreitet Wynton Marsalis seine Version des Jazz, eine Art Evangelium nach Wynton. Das verehrt die Klassiker wie Duke Ellington, Louis Armstrong oder Thelonious Monk als Säulenheilige. Marsalis beschwört ein exklusives goldenes Zeitalter, das mit Ornette Coleman endet. Für Abzweigungen in Richtung Pop oder Rock oder auch für Fusion-Ansinnen etwa eines Miles Davis gibt es da keinen Platz. Dass er für diesen Ansatz viel Kritik einstecken muss, nimmt Marsalis gern in Kauf. "Ich bin kein Typ, der Rock and Roll nachmachen wird oder sich an Pop-Trends heftet. Das habe ich nie gemacht."
Stattdessen sieht sich Marsalis als Hüter des Wahren, Guten und Schönen im Jazz, wie er ihn definiert. Als konservativ will er dennoch nicht gelten. Er sieht sich im Gegenteil als sehr progressiv. "So progressiv, dass ich kein Opfer des aktuellen Konservatismus bin, der sich als progressiv ausgibt." In seiner Argumentation setzt er kommerziellen Erfolg mit Konservatismus gleich. "Ein kulturell Konservativer will den Status quo erhalten, richtig?", fragt Marsalis im Interview. "Kulturell konservativ zu sein heißt, das Publikum und das Business in Sicherheit zu wiegen. Ich spreche von der größten Gruppe an Musikkonsumenten. Die konservative Bewegung glaubt, dass man für immer 13 sein kann. Die meisten denken doch, Hip-Hop ist der größte Jazz weltweit oder wir wollen Rock and Roll imitieren. Alles und jedes ist Jazz. Das höre ich seit meiner Highschool."
Gegen diesen für Marsalis schwammigen musikalischen Zeitgeist stemmt sich der Musiker mit der eigenen Virtuosität und seinem über Jahrzehnte gefestigten Jazz-Reinheitsgebot. Seine Spielfreude ist unterdessen ungebrochen, die Begeisterung, die er hervorruft, ebenfalls. Wynton Marsalis geht es um das Bewahren und Pflegen eines Erbes.