Frau mit Fächer in einem Bett, stark geschminkt, Szene aus "Liebe und Anarchie"

FILMARCHIV AUSTRIA

Filmautorinnen der 1960er und -70er

Retrospektive "weiblich & widerständig"

Man kennt das Problem aus anderen Zünften: Die Aufforderung, eine Komponistin der Wiener Klassik, eine Malerin des französischen Impressionismus oder eine Schriftstellerin aus dem spanischen Barock zu nennen, löst Kopfzerbrechen aus. Den Filmregisseurinnen der 1960er und -70er Jahre ergeht es da nicht anders. Eine umfang- und aufschlussreiche Retrospektive im Wiener Filmarchiv gibt jetzt Nachhilfe und füllt Wissenslücken in Sachen weibliches Filmschaffen.

Kulturjournal | 06 02 2020

Judith Hoffmann

Asta Nielsen in den 1910er Jahren oder Leontine Sagan in den 30ern. Viel mehr als vereinzelte Pionierinnen hat die frühe Filmgeschichte nicht vorzuweisen. Und noch in den 60er Jahren war ihre Zahl erstaunlich gering, erzählt die Kuratorin Sabine Schöbel: "Es gab in den 60ern vielleicht 15 Filmemacherinnen in ganz Europa, gemessen an einer Einwohnerzahl von 200 bis 300 Millionen ist das nichts. Und diese Frauen waren auch nicht miteinander verbunden, ja, ihnen war noch nicht einmal bewusst, was das bedeutet, als Frau hinter der Kamera zu stehen."

Schon 2015 hat Schöbel für das Berliner Zeughauskino die Reihe "Aufbruch der Autorinnen" zusammengestellt und damit bahnbrechende Erkenntnisse in Hinblick auf das europäische Kino der 60er Jahre auf die Leinwand gebracht. "Es war, als hätte man plötzlich die Perspektive jener Frauen und Mädchen vor sich, die man sonst immer auf der Leinwand sah, in den Filmen von Godard, Truffaut, Kluge und anderen", erzählt sie.

Neue Perspektive statt Gleichmacherei

Und das ist Schöbels Ansatz, immer noch, auch im Wien des Jahres 2020. Davon, dass es irgendwann einmal keine Quoten und keine als solche ausgewiesenen "Frauenfilme" mehr geben könnte, hält sie nichts. Denn: "Es bringt meiner Meinung nach nichts, wenn wir einen Film anschauen und gar nicht wissen, von wem er stammt. Filme spiegeln ja immer ganz persönliches Interesse, Lust und sexuelles Begehren wider. Es muss nur erlaubt sein, nicht nur die eine - männliche - Perspektive zuzulassen."

Wer es zulässt und sich darauf einlässt, wird zum Beispiel mit dem frechen und humorvollen Eröffnungsfilm "Sedmikrasky" (Tausendschönchen) von Vera Chytilova aus dem Jahr 1966 belohnt - ein Experimentalfilm in Spielfilmlänge, der keine geometrischen Spielereien, keine skurrilen Intermezzi und keine symbolisch aufgeladenen Attribute auslässt.

Ähnlich pfiffig und leichtfüßig gestaltet sich diese Erzählung in Nelly Kaplans "La fiancée du pirate" von 1969. Ausgerechnet die Prostitution wird hier zum Ausweg aus der Unterdrückung für die Außenseiterin Marie, die mit ihrer Attraktivität und ihrem Geschäftssinn das Machtgefüge eines ganzen Dorfes aushebelt.

Geschichte von der Ausgrenzung, zigfach neu erzählt

Das eine ästhetische oder formale Charakteristikum weiblichen Filmschaffens der 60er und 70er Jahre gibt es übrigens nicht, so Schöbel: "Die Frauen bedienten sich eben der Filmsprache, die gerade auch von Männern angewandt wurde. Und eigentlich gibt es so viele Ästhetiken und technische Eigenheiten wie es Filme gibt in dieser Retrospektive."

Was aber allen gemeinsam ist, ist die Erzählung: die Geschichte von der Verdrängung, Verschmähung und Ausgrenzung aus der Männerwelt, wie sie Frauen über alle nationalen, politischen und ideologischen Grenzen hinweg erlebten und erzählten - in Ungarn oder Polen, der BRD, Italien, Frankreich oder Skandinavien.

Mann und Frau schauen sich ernst in die Augen, Ausschnitt "Wir lassen und scheiden"

"Wir lassen und scheiden", DDR, 1968

DEFA STIFTUNG/HORST BLÜMEL

Das harte Pflaster der 70er Jahre

Sind es in den 60ern noch eher ironische und augenzwinkernde Erzählungen, so dominiert in den 70ern die Ernüchterung. Konnten Filmemacherinnen wie Lina Wertmüller oder Agnès Varda in den 60ern noch gut dotierte Produktionen auf die Leinwand bringen, waren ihre Nachfolgerinnen mit zahlreichen Einschränkungen konfrontiert. "Die Frauen in den 70ern haben es wesentlich schwerer", kommentiert Schöbel. Das zeige sich auch daran, dass vielen großartigen Debütfilmen keine weiteren Produktionen folgten, dass manche Frauen lediglich zwei oder drei Filme produzieren und die wenigsten davon leben konnten.

Eine solche Schwere legt sich etwa über die kunstvoll-poetischen Schwarzweißbilder von Helma Sanders-Brahms' "Unter dem Pflaster ist der Strand" aus dem Jahr 1975. Der zarte Beginn einer Liebesbeziehung zwischen den Schauspielern Grischa und Heinrich wird getrübt durch politische Debatten, feministisches Engagement und die Ernüchterung nach der Euphorie der 68er-Bewegung.

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Weiblich und widerständig – so sind die Heldinnen der Filme dieser Retrospektive im METRO Kinokulturhaus. Und so sind wohl auch jene Frauen, die diese Filme erdacht, geschrieben und gedreht haben. Was viele dieser Arbeiten eint: im Zentrum stehen häufig junge Frauen, vielleicht Spiegelbilder der Regisseurinnen, die beginnen, sich gegen die herrschenden Verhältnisse aufzulehnen – frech und spielerisch etwa wie die beiden Maries in Vera Chytilovás SEDMIKRÁSKY, schlau und augenzwinkernd wie eine dritte Marie in Nelly Kaplans LA FIANCÉE DU PIRATE, nachdenklich und überaus selbstreflexiv wie Chantal Akerman in ihrem Spielfilmdebüt JE TU IL ELLE oder forschend und fordernd wie Grischa in UNTER DEM PFLASTER IST DER STRAND. Die Anzahl der Spielfilmregisseurinnen im Europa der 1960er- und 1970er-Jahre ist verschwindend gering. Sie sind Einzelkämpferinnen in den Ländern auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Und sie erschaffen ausgesprochen unterschiedliche Werke, deren ästhetische Bandbreite diese Schau versucht, anhand ausgewählter Arbeiten von 20 Autorinnen abzubilden. Während in den jeweiligen nationalen Kinematografien diese Arbeiten als – mehr oder weniger – singuläre Phänomene gelten, stellt sich in der Gesamtheit das Bild einer bislang unbeachteten Generation europäischer Filmemacherinnen dar. WEIBLICH & WIDERSTÄNDIG Filmautorinnen im Europa der 60er- & 70er Jahre Retrospektive im METRO Kinokulturhaus 7.2. - 3.3.2020 Bilder in diesem Beitrag: SEDMIKRÁSKY (Vera Chytilová, ČSSR 1966) FLICKORINA (Mai Zetterling, S 1968) WIR LASSEN UNS SCHEIDEN (Ingrid Reschke, DDR 1968) ÖRÖKBEFOGADÁS (Márta Mészáros, H 1975) UNTER DEM PFLASTER IST DER STRAND (Helma Sanders-Brahms, BRD 1975) JE TU IL ELLE (Chantal Ackerman, B/F 1974)

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Österreichische Perspektiven mit bekannten Namen

In Wien wird Schöbels Auswahl nicht nur um Filme aus den 70er Jahren, sondern auch um einen eigenen Österreichschwerpunkt ergänzt. Zu sehen sind Kurz- und Langfilme etwa von Maria Lassnig, Friedl vom Gröller, Valie Export oder mit der Produktion "Reflexion" von Edith Hirsch. Und es zeigt sich: In Sachen künstlerische Individualität stehen sie ihren Kolleginnen aus Ost- und Westeuropa um nichts nach.

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Filmarchiv Austria - Weiblich & widerständig - Filmautorinnen im Europa der 60er- und 70er-Jahre. Retrospektive im Metro Kinokultukrhaus von 7. Februar bis 3. März 2020

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