Graues Känguru

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Film

Das Känguru im Kino und im Interview

Das Beuteltier ist Kommunist, mag Schnapspralinen, kann sprechen und ist schon vor über zehn Jahren bei ihm eingezogen: Mit seinen satirischen "Känguru-Chroniken" über die Wohngemeinschaft zwischen einem Känguru und einem Kleinkünstler, hat der deutsche Autor Marc-Uwe Kling ein Millionenpublikum erreicht. Interviews gibt Kling eigentlich nie - wenn, dann nur in der Rolle seiner Kunstfigur: dem Känguru. Und das hat Ö1 anlässlich der Verfilmung der "Känguru-Chroniken" in Berlin getroffen.

Kulturjournal | 03 03 2020

Benno Feichter

"Das machen wir fix", schrieb Marc-Uwe Klings Manager im letzten E-Mail. Ein Treffen mit dem Autor soll es geben, kein Interview wird es sein. Aber ein Treffen eben. An einem verregneten Berliner Februartag stehe ich dann also vor dem Bürogebäude des X-Film-Verleihs in der Kurfürstenstraße. Draußen hängt ein riesiges "Känguru-Chroniken"-Transparent auf der grauen Fassade, drinnen sitzt Mark-Uwe Kling auf einer Ledercouch vor einem Obstbuffet. Äpfel, Bananen, Physalis, Nüsse - keine Schnapspralinen. Was wir machen werden? Es wird doch ein Interview geben - aber nicht mit Marc-Uwe Kling sondern mit dem Känguru.

"Ja, Känguru, sind wir per Du oder per Sie", frage ich. "Ich sieze niemanden", antwortet das Känguru. Neues vom Känguru in Buchform gab es schon länger nicht. Ob der kommerzielle Erfolg die Beziehung zwischen dem Autor und dem kommunistischen Känguru belastet habe? "Marc-Uwe hat eingesehen, dass ich viel erfolgreicher bin als er und da er da einsichtig ist, hat das unsere Beziehung jetzt nicht beschädigt." Wo Marc-Uwe Kling heute ohne den Erfolg der "Känguru-Chroniken" wäre? "Auf einer kleinen Bühne mit drei Bällen und fünf Zuschauern." - "Und das Känguru?" - "Ungefähr an demselben Punkt."

Känguru mit rotem Handschuh und ein bärtiger Mann

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Der Humor, die Politik und fliegende Hunde

Die Verfilmung der "Känguru-Chroniken" beginnt jedenfalls ganz am Anfang der gemeinsamen Geschichte von Kleinkünstler und Beuteltier. Das Känguru steht eines Tages vor Marc-Uwe Klings Tür. Einen Polizeibesuch später zieht es bei ihm ein. Kling hat selbst das Drehbuch zum Film geschrieben und löst ein, was die Fans seiner Romanreihe bei ihrem Kinobesuch erwarten. Ursprünglich als Radiopodcast konzipiert, dann in Buchform gebracht, schließlich als Hörspiel aufgenommen trifft in den "Känguru-Chroniken" absurder Humor auf schonungslose Gesellschaftskritik. Der Humor der Bücher, mit dem politischen Subtext und den popkulturellen Zitaten und Verweisen, ist fast eins zu eins auf die Leinwand übertragen. Dazu Känguru-Standard-Sätze wie "Meins, deins, das sind doch bürgerliche Kategorien" - die Liebe des Beuteltiers zu Schnapspralinen oder seine kleptomanische Veranlagung.

"Marc-Uwe hat das Drehbuch geschrieben", erzählt das Känguru: "Ich hab dann live on Set andere Sachen gesagt, einfach lustigere und relevantere Sachen. Insofern würde ich sagen fünfzig zu fünfzig, hab ich da nochmal improvisiert und verbessert."

Aber anders als in den Känguru-Büchern ist der Film nicht episodisch erzählt, sondern rast in einem großen Handlungsbogen von Pointe zu Pointe. Ein Immobilienhai und Vorsitzender einer rechtspopulistischen Partei will mitten in einem Kreuzberger Park ein Hochhausprojekt realisieren.

Es geht um Gentrifizierung und Rechtspopulismus, es gibt Prügeleien mit Nazis in einer Eckkneipe, lästige Hunde werden durch die Luft geschossen - wobei eine Rasse besser fliegt als die andere - und Paulus Manker spielt den Psychotherapeuten, der am tierischen Mitbewohner seines Klienten verzweifeln wird. Der Kleinkünstler ist unglücklich verliebt und noch weit verzweifelter als in der Buchvorlage, während das Känguru seine ganz eigenen Pläne schmiedet.

Drei Schlägertypen und eine Frau

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Nationalisten und das Leugnen der Klimakrise

So gelungen die digitale Animation des Kängurus in diesem Berliner Straßenfilm ist, so wenig interessiert es das Känguru, im Interview darüber zu sprechen. Und während es sich eine Erdbeere vom Obstbuffet vor ihm schnappt, erklärt es stattdessen, warum Marc-Uwe Kling im Film nicht sich selbst spielt: "Marc-Uwe kann ja vieles … naja, vieles ist vielleicht zu viel gesagt. Sagen wir, er kann ein bisschen was, zumindest kann er ganz gut Tischfußball spielen. Aber er ist halt kein Schauspieler und deswegen habe ich ihn dann doch gebeten, davon Abstand zu nehmen, sich selbst zu spielen."

Gemeinsam haben das Känguru und Kling vor wenigen Wochen einen Gastkommentar für die Wochenzeitung "Die Zeit" geschrieben: über die Klimakrise und den Zusammenhang zwischen Nationalismus und dem Leugnen eben jener Klimakrise durch rechte Parteien. Die Klimakrise, die nur global gelöst werden, und an der Nationalisten also zwangsläufig nur scheitern können - sie ergo leugnen. "Korrekt! Man kann keine Mauer gegen die Klimakrise bauen, man kann nicht auf sie schießen oder sie aussperren. Man muss das gemeinsam lösen. Und der Nationalismus ist jetzt tendenziell nicht die kooperativste aller möglichen Regierungsformen."

"Wirklichkeit ist wahrscheinlicher als Nicht-Wirklichkeit"

In seinem Roman - der "lustigen Dystopie" "QualityLand" - beschreibt Marc-Uwe Kling einen Überwachungsstaat, in dem das Leben der Bürger, ihr Alltag und ihre Entscheidungen von Algorithmen bestimmt und daueroptimiert werden. "QualityLand" wird derzeit vom US-Sender HBO als Serie umgesetzt und ist zuletzt in mehrere Sprachen übersetzt worden. Wie das ganz persönliche und utopische Qualityland des Kängurus aussehen würde? "Wie lange hast du Zeit", fragt das Känguru: "Hat's noch nie gegeben. Also komm mir jetzt nicht mit der DDR. Facebook müsste abgeschafft werden, Google sein Geschäftsmodell ändern, dazu ein bedingungsloses Grundeinkommen."

Den Einwand, dass da der Überwachungsstaat aus Marc-Uwe Klings "QualityLand" weit wahrscheinlicher klingt, kontert das Känguru trocken: "Klar! Die Wirklichkeit ist wahrscheinlicher als die Nicht-Wirklichkeit."

Bleibt nur noch eine Frage: "Bist du eigentlich eine ziemliche Diva, oder warum gibst du so selten Interviews?" - "Marc-Uwe gibt keine Interviews", meint das Känguru: "Mich hat nur nie jemand gefragt."

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Zeit Online - Tierisch Kapital. Ein Gastbeitrag von Känguru

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