Spielräume Spezial

Vergessener Jazz und Erinnerung im Blues

"Spielräume Spezial" über das Feuer im Rhythm Club in Natchez vor 80 Jahren

Der Saxofonist und Bandleader Walter Barnes ist heute weitgehend vergessen. Mit seinen Royal Creolians feierte er in den 1920er und 1930er Jahren große Erfolge - so groß, dass von ihnen nicht mehr erhalten ist als eine Handvoll Schellacks. Denn was waren schon Studioaufnahmen für eine gefeierte Swingband, wenn ihr ohnehin stets ausverkaufte Häuser gewiss waren!

Barnes spielte vor allem in Chicago, tourte aber auch jährlich durch den US-amerikanischen Süden. Dass er als Kolumnist für afroamerikanische Zeitungen wie den "Chicago Defender" schrieb, nutzte er, um die Auftritte seiner und anderer schwarzer Bands zu promoten, denn im Süden waren aufgrund der Rassendiskriminierung infrage kommende Veranstaltungsorte für schwarze Musiker/innen und ihr schwarzes Publikum besonders rar. Der Rhythm Club in der Kleinstadt Natchez, Mississippi, war so ein sicherer Ort, allerdings nur in dieser Hinsicht. Das Konzert, das Walter Barnes und Band am 23. April 1940 dort gaben, war ihr letztes.

Fatales Zusammenwirken

Der Rhythm Club war ein lang gestreckter Bau aus Wellblech und wenig ansprechend, deshalb hatte man das Innere reichlich mit trockenem Spanischen Moos dekoriert, das vorsorglich mit einem petroleumbasierten Insektizid besprüht worden war. Um nichtzahlende Gäste fernzuhalten, hatte man die Fenster zugenagelt und die Hintertür verriegelt. Dafür lief ein Ventilator auf Hochtouren, um dem Publikum trotzdem einen angenehmen Abend zu garantieren.

All diese Umstände wirkten fatal zusammen, als kurz vor Mitternacht plötzlich Feuer ausbrach. Binnen kürzester Zeit entflammte die Dekoration im gesamten Raum. Der Ausgang wurde von den hinausdrängenden Leuten sofort verstopft. Mehr als 200 Menschen kamen ums Leben, unter ihnen auch Barnes und neun seiner Mitmusiker, die bis zuletzt gespielt hatten, um einer Panik entgegenzuwirken.

Verdichtet, verbreitet und verewigt

Soweit die tragischen Ereignisse. Damit aber nehmen neue Geschichten ihren Anfang, getragen von den großen Geschichtenerzählern der USA, den Bluessängern. Sie haben die Geschichte der Feuersbrunst im Rhythm Club in Natchez verdichtet, verbreitet und verewigt.

Schon am 9. Mai 1940 nehmen die Lewis Bronzeville Five in Chicago einen Song namens "Mississippi Fire Blues" auf, das Klagelied eines Mannes, der seine Freundin in den Flammen verloren hat. Nur wenig später verfasst der religiöse Bluessänger Charles Haffer Jr. einen Song, in dem er das Unglück detailgetreu schildert, allerdings nur, um dann vor weltlichen Genüssen wie Tanzmusik zu warnen und ein gottgefälliges Leben zu propagieren.

Als wäre man selbst dabei gewesen

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt der Natchez-Topos im Blues am Leben. Ab nun geht es vor allem darum, an die Katastrophe zu erinnern und ihren Opfern ein ehrendes Denkmal zu setzen. 1956 nimmt Howlin’ Wolf "The Natchez Burnin’" auf, der mit einer eindringlichen Aufzählung weiblicher Vornamen zwar keine tatsächlichen Opfer nennt, damit aber umso stärker die individuelle wie kollektive Tragik der Verluste zum Ausdruck bringt.

Bei den Songs von John Lee Hooker wiederum wird deutlich, wie sehr sich die Überlieferung 19 Jahre nach dem Unglück bereits verselbstständigt hat. Zwar erwähnt er noch Walter Barnes, aber schon ist von Tausenden Opfern die Rede. Und er datiert das Ereignis fälschlich ins Jahr 1936 oder 1937. Doch im Blues geht es nicht um die Wiedergabe von Fakten, sondern ums Tradieren von Geschichten, auch wenn oder gerade weil diese in ihrer Historizität immer mehr verblassen. Es geht ums Erzählen, als wäre man selbst dabei gewesen. Und ums Nicht-Vergessen.

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