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Literatur

Ingo Schulze, "Die rechtschaffenen Mörder"

Für Ingo Schulze hätte es ein ereignisreiches Frühjahr werden sollen. Nach seiner Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse war sein Terminkalender voll mit Lesungen und Diskussionen - jetzt spricht er auf der Plattform "Blaues Sofa digital" über seinen neuen Roman "Die rechtschaffenen Mörder". - "Der ideale Stoff für eine literarisch-politische Debatte" schrieb dazu die "Süddeutsche Zeitung".

Die Zeit von Corona, das sei eine Chance für das Lesen, sagt Ingo Schulze, jeder Mensch brauche Geschichten, um mit seinen eigenen Erfahrungen klarzukommen. Und eine Geschichte aus der Welt der Bücher erzählt er auch in seinem neuen Roman, die Geschichte von Norbert Paulini.

Ein feingeistiger Antiquar

Paulini ist Antiquar in Dresden. Nicht einer, der schlicht und einfach mit alten, vergriffenen Büchern handelt, Paulini ist ein charismatischer Intellektueller, ein belesener, feingeistiger Mann aus der Welt von Gestern. In altertümlicher Sprache, im Tonfall der klassischen Novelle wird zunächst seine Lebenswelt ausgebreitet. Er wollte damit eine gewisse Verfremdung erreichen, erklärt Ingo Schulze, "so erzählt man tatsächlich nicht über unsere Zeit".

Ex libris | 15 03 2020 | Rezension von Brigitte Naumann

Die Zäsur 1989/90

Es ist auch die Zeit vor der Wende, und die wird in dem Roman nicht nur mit einem stilistischen Bruch markiert. Die Zäsur 1989/90 ist das Ende von Paulinis heiler Bücherwelt, sein Geschäftsmodell ist dem Untergang geweiht. "Die Zeit des Lesens war damals vorbei", erinnert sich auch Ingo Schulze, damals sei es vor allem um das ökonomische Überleben gegangen. Und was aus dem Osten kam, davon wollte keiner etwa wissen. "Das betraf auch die so genannten Ost-Bücher, wie etwa die Bibliothek der Klassiker, dafür war schlicht und einfach kein Platz, das landete auf der Halde. Es war kein bösartiger Akt, so funktioniert eben der Kapitalismus."

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Der Büchermensch als Reaktionär

Paulini kommt denn auch unter die Räder des Kapitalismus. Und nach und nach driftet er immer weiter nach rechts ab und wird zum Anhänger völkischen Gedankenguts. Wie konnte es dazu kommen? "Warum jemand gewisse Entscheidungen im eigenen Leben trifft, das ist nicht vorhersehbar", sagt Ingo Schulze. "Ein viel größeres Problem ist: Wie geht die Mehrheit damit um?" - Es sind komplexe Fragen, die Ingo Schulze in eine komplexe Romankonstruktion übergeführt hat.

Schulze und Schultze

Im zweiten Teil tritt ein Schriftsteller mit Namen Schultze auf, anders als Ingo Schulze mit tz geschrieben. Er outet sich Verfasser einer Paulini-Biografie, und seine Lektorin kommt auch noch zu Wort. - Ein Verwirrspiel, das einladen soll zu einer Selbstbefragung: "Wenn man über den Osten spricht, wäre es hoch an der Zeit, sich näher anzusehen, was 1991/92 so an Verwerfungen passiert ist, wie sind die Besitzverhältnisse, wie sind Führungspositionen besetzt usw.", meint Ingo Schulze und er fügt hinzu: "Die Corona-Krise werde die sozialen Unterschiede wohl noch deutlicher machen."

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Ingo Schulze, "Die rechtschaffenen Mörder", Roman, S. Fischer
3sat - Ingo Schulze auf dem Blauen Sofa

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