Ein designer Sessel in blauem Stoff und Messing Rahmen.

AFP/MEDINA

Moment am Sonntag

Der letzte Gast

"Moment am Sonntag" über Sessel und Stühle.

Der erste war ein Schalensessel mit einer pinken Stickerei. Kaum hatte Davut Mizrahi ihn in die Auslage gestellt, war er auch schon verkauft. Der Salon des jüdisch-türkischen Kunsthändlers im ersten Wiener Bezirk wird von einer bunten Gästeschar bevölkert: Vintage-Sessel, überzogen mit türkischen Kelims, kaukasischen Teppichen, usbekischen Stickereien.

Die einen gemütlich-üppig, mit Sitzflächen aus Schaffell, die anderen vornehm-filigran, mit Lehnen aus Samt. Intuitiv-kreativ haucht Mizrahi gebrauchten Sitzmöbeln neues Leben ein. "Es gibt immer wieder welche, die zu lange bleiben. Ich frage mich dann, ob ich etwas falsch gemacht habe." Nein, der Sessel warte auf den richtigen Kunden. Jedes Stück habe ein Schicksal.

"Sitzen sei eine Kulturhandlung"
Ida Divinzenz

Mamas Stuhl, Papas Fauteuil, der angestammte Platz des Großvaters oder der Großmutter. Viele Menschen pflegen zu ihren Stühlen eine emotionale Beziehung. Besondere Exemplare landen im Atelier von Ida Divinzenz. Die Tapeziermeisterin beherrscht die Kunst der klassischen Schnürung. Schicht für Schicht zerlegt sie das Innenleben einer Polsterung, um es zu erneuern. Über dicken Jutebändern werden Sprungfedern aufwendig verschnürt.

Sitzen sei eine Kulturhandlung, findet sie. Ob auf einem einfachen Bauernstuhl oder einem Polstersessel. Auf Letzterem nehme man jedoch eine andere Haltung ein. Die Haute Couture des Sitzens sozusagen.

Streng hierarchische Ordnung

Das Sitzen auf Stühlen ist eine Erfindung städtischer, ziviler Kulturen. Verbunden mit einer streng hierarchischen Gesellschaftsordnung. So gilt als erster Stuhl der Thron, der dem Herrscher vorbehalten war. Im 10. Jahrhundert erfand man das Chorgestühl, auf dem die Mönche fortan während der Messe saßen. Vorläufer von Theater- oder Kinositzen.

Die Ausstattung einer Bauernstube beschränkte sich auf Tisch und Eckbank. In vornehmen Haushalten war ein Armstuhl allenfalls dem Hausherrn vorbehalten. Das Gesinde begnügte sich mit Schemeln.

Aus dem Kaffeehaus ...

Im 19. Jahrhundert trat der Stuhl schließlich seinen gesellschaftlichen Siegeszug an. Von Wien aus, besser gesagt aus den Kaffeehäusern, eroberte er die bürgerliche Welt. 1841 präsentierte der Tischlermeister Michael Thonet Fürst Metternich ein geflochtenes Sitzmöbel. Dieser riet ihm, nach Wien zu gehen, überzeugt davon, Erzherzog Franz Ferdinand würde das Herstellungsverfahren fördern.

So kam es auch. Mit der sogenannten Bugholz-Technik ließ sich Massivholz formen, ohne dass es splitterte. Der Thonet-Sessel machte den Stuhl massentauglich: leicht, elastisch und vor allem erschwinglich. Er wurde in die ganze Welt verkauft. Bis heute gilt er als der Kaffeehaussessel schlechthin.

Er war wie ein Handschuh, die Form genau für meinen Körper gemacht

"Wie schwer ist es, den besseren Sessel zu finden! Und wie leicht den neueren", sagte der Architekt und Kulturpublizist Adolf Loos. Einen Stuhl zu entwerfen gilt als eine der kniffligsten Aufgaben des Möbeldesigns. Wegen des labilen Gleichgewichts zwischen Stabilität, Komfort und Designanspruch. Entwürfe wie der "Eames Chair" aus dem Jahr 1950, der erste in Serie produzierte Kunststoffstuhl, oder die sogenannte "Ameise" von Arne Jacobsen sind bis heute beliebt und werden vielfach kopiert.

Doch was heißt eigentlich "gut sitzen"? Ein Sessel zum Arbeiten muss anders beschaffen sein als ein Sessel zum Träumen. Beim Fernschauen sitzt man anders als bei einer Besprechung. Beim Essen anders als beim Lesen. "Er war wie ein Handschuh, die Form genau für meinen Körper gemacht" - Sätze wie diesen hört der Kunsthändler Davut Mizrahi oft. Gibt es also für jede Sitzfläche das passende Hinterteil? Vielleicht, denn jeder Stuhl hat ein Schicksal.

Text: Shenja von Mannstein