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Toxine im Vormarsch
Es wird stetig wärmer und bekannte wie auch neue Toxine in Form von Tieren und Pflanzen wandern langsam gen Norden - auch nach Österreich. Es ist die Globalisierung, die es Pflanzen und Tieren ermöglicht nach Mitteleuropa zu gelangen, und es ist die Klimaerwärmung, die es ihnen ermöglicht zu bleiben und sich auszubreiten.
25. Juni 2020, 02:00
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In unserer Welt sind wir ständig umgeben von potentiell giftigen Substanzen. Die potentesten findet man aber nach wie vor in unserer Fauna und Flora. Dabei gilt für alle Lebewesen - egal ob Tier, Pflanze oder Pilz - der eigens hergestellte Giftcocktail ist ein wertvolles, kostenintensives Asset. Spinnen, Skorpione und Schlangen würden daher selbst im äußersten Notfall nur eine geringe Menge Gift an unsereins verschwenden. Aller Phobien zum Trotz waren die heimischen tierischen Gifte kaum geeignet, uns ernsthaft zu schädigen.
Aber die Welt um uns herum verändert sich zunehmend. Es wird stetig wärmer und bekannte wie auch neue Toxine wandern langsam gen Norden - auch nach Österreich. Es ist die Globalisierung, die den Neozoen und Neophyten erlaubt nach Mitteleuropa zu gelangen, und es ist die Klimaerwärmung, die es ihnen ermöglicht zu bleiben und sich auszubreiten.
Bereits heimisch geworden
Eine dieser eingeschleppten toxischen Arten ist der Riesen-Bärenklau. Ein krautiges Gewächs aus dem Kaukasus, welches bereits im 19. Jahrhundert als Zierpflanze nach Europa eingeführt wurde. Heute erobert er die Lebensräume, auch hierzulande. Er schießt innerhalb kurzer Zeit aus dem Boden und wird dreieinhalb Meter hoch. Auffallend schön, intensiv duftend, aber extrem giftig. Angefangen bei seinem Wurzelsystem bis hin zu seinen riesigen Blättern und Blüten ist er durchzogen mit einer phototoxischen Substanz. Die Giftwirkung wird bei Berührung mit der Haut und anschließender Einwirkung von Sonnenlicht ausgelöst. Es kann zu schweren Hautentzündungen kommen, verbunden mit schmerzenden, verbrennungsähnlichen Blasen.
Aber auch für den Speisepilzsammler werden die neuen Toxine zum Problem: denn unter den beliebtesten, heimischen Pilzen befinden sich nun zwei giftige Doppelgänger. Gesammelte Eierschwammerln sollten daher nicht gar so arglos gegessen werden, wie früher. Die neuen giftigen, mediterranen Sorten können sich jetzt dank des Klimawandels auch in Österreich ausbreiten.
Diese Pflanzen- und Pilzarten sind gekommen, um zu bleiben. Es wird nicht mehr möglich sein, sie gänzlich zu eliminieren.

AFP/KEN JONES
Australische Schwarze Witwe
Gerade angekommen
Viele Arten, befinden sich aber erst im Vormarsch. Wie etwa die Australische Schwarze Witwe, auch Rotrückenspinne genannt. Sie ist nicht aggressiv, aber problematisch: Denn sie legt ihre Netze in Häusern, auf Terrassen, in Autos, und sogar unter Bussitzen an. Greift man versehentlich nach ihr und bedrängt sie, beißt sie zu. Das Gift bereitet „unerträgliche“ Schmerzen und kann unter Umständen zum Tod führen.
In Australien wird etwa 300 - 400 Mal pro Jahr Antivenin wegen Bissen dieser Spinnenart verabreicht. Das entsprechende Gegengift gäbe es in Österreich nicht, gibt der Grazer Arachnologe Christian Komposch zu bedenken. Dabei sei die Spinne dazu prädestiniert verschleppt zu werden. Einschleppungen erfolgen in den großen Häfen Europas bereits regelmäßig. Zudem stellte ein neuseeländisches Forschungsteam in einer Studie fest, dass Österreichs Städte der Rotrückenspinne mittlerweile gute Lebensbedingungen bieten.
"Es geht um Zehntelgrade. Und diese wenigen Zehntelgrade haben wir für viele Arten bereits erreicht."
„Wir glauben immer, wir brauchen eine Temperatursteigerung von 2,3,4,5 Grad Celsius um eben diesen Tieren aus Nordafrika, Mexiko, Australien das Überleben bei uns zu ermöglichen. In Wirklichkeit bewegen wir uns da, bei viel, viel geringeren Werten. Es geht um Zehntelgrade. Und diese wenigen Zehntelgrade haben wir für viele Arten bereits erreicht.“, so Christian Komposch von Ökoteam - Institut für Tierökologie und Naturraumplanung

APA/VETMEDUNI VIENNA/GEORG DUSCHER
Hyalomma Marginatum
Neue Zecken, neue Krankheiten
Auch steigt die Zahl der Zecken dank der milden Winter rasant an. Und die Bakterien und Viren, welche von dieser Milbenart übertragen werden, stellen eine ernstzunehmende Gefahr für Mensch und Tier dar. Das immer wärmere und trockenere Klima begünstigt zudem exotische Blutsauger.
Vermehrt wird von neuen Zeckenarten in Österreich berichtet: von kleinen mediterranen Parasiten, die sich in Wohnungen ausbreiten können. Aber auch von einer riesigen Zecke aus Afrika, der Hyalomma Marginatum. Es ist eine jagende Zecke. Sie wittere ihre Wirte aus der Ferne und laufe sodann gezielt in Richtung Homo Sapiens und das mit einer beachtlichen Geschwindigkeit, erzählt Christian Komposch. Und mit den neuen Zecken, kommen auch neue Krankheiten.
Sind wir auf diese Veränderung vorbereitet?
Bei Giftbegegnungen aller Art steht uns zumindest - 24/7 - die Vergiftungsinformationszentrale zur Seite. 28.000 Anrufe nehmen die acht Ärztinnen und Ärzte der Zentrale jährlich entgegen. Mit Expertise und Gelassenheit geht man gegen Vergiftungen, falsche Instinkte und die zwielichtigen Ratschläge des Internets vor. Aber es wird mehr nötig sein als das. Die Einwanderung unangenehmer Arten bedarf umfassendes Monitoring. Zusätzlich wird umfangreiche Aufklärungsarbeit für die Bevölkerung erforderlich sein.
Unsere Tier- und Pflanzenwelt befindet sich im Wandel. Doch darf nicht vergessen werden: wir waren immer schon von Giften umgeben. Nun gilt es zu lernen, mit den Neuankömmlingen richtig umzugehen und weder der Hysterie noch der Verharmlosung anheimzufallen.
Noch ist es nicht zu spät
Viele Etablierungen können derzeit noch verhindert werden. Um dies auch in Zukunft zu ermöglichen, wird es erforderlich sein, das Problem an der Wurzel zu packen: Das Klima muss stabilisiert und die unter Stress stehenden Ökosysteme rehabilitiert werden.
Mit die Einbremsung der starken Zersiedelung der Landschaft und der exzessiven Landwirtschaft sei bereits viel getan. Vor allem müsse der Natur ein Stück Unordnung zurückgeben werden. Alle Neobiota seien ein Warnsignal, ist sich der Ökologe und Biodiversitäts-Forscher Franz Essl sicher. „Wenn sich eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten in einem Lebensraum, in einem Gebiet rasch und rasant ausbreiten, dann ist das in der Regel ein Hinweis, dass etwas mit den Ökosystemen in dieser Region nicht mehr in Ordnung ist.“
Gestaltung: Kim Cupal