Archie Shepp

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN

Hörbilder spezial

Archie Shepp - Die Poesie und der Sound der Freiheit

"Hörbilder spezial" über den legendären Jazzmusiker und Poeten Archie Shepp.

Der Jazzmusiker, sagte Archie Shepp einmal, sei wie ein Reporter, ein ästhetischer Journalist Amerikas. Das sei die wichtigste Aufgabe. Shepp ist allerdings beileibe nicht nur ein Chronist, sondern auch ein Poet, der die Verhältnisse zum Tanzen bringt - mit seinem Tenorsaxofon ebenso wie mit seinen Worten. Mitte der 1960er Jahre war er einer der ersten schwarzen Musiker, die auf ihren Schallplatten eigene Gedichte rezitierten. "Musik", sagte er, "kann einen einschränken, wenn man über sie nur nachdenkt. Man muss sie machen, man muss sie in sich haben. Poesie kann anregend sein, genau wie Musik.

Archie Shepp

Archie Shepp, 2009

AFP/ERIC CABANIS

Kunst als Statement

Sich selbst sieht er als "Godfather of Rap": Radikal, laut, unerbittlich, wortgewandt, poetisch - Shepp ließ und lässt sich das Wort nicht verbieten. Sein Saxofon bezeichnete er einst als "Maschinengewehr des Vietcong". Seine Kunst war immer auch ein Statement, Widerspruch zum gesellschaftlichen Status quo in den USA, Kampf gegen Rassismus. Es sind die Fragen jener Zeit der Bürgerrechtsbewegung, die nicht allein Archie Shepp beschäftigten, sondern eine ganze Generation wütender junger Schwarzer, die sich nicht länger schikanieren, hinhalten, ausschließen lassen wollten. Die genug hatten von jenem immer wieder in Gewalt ausartenden alltäglichen Rassismus.

USA - eines der übelsten, rassistischsten Gesellschaftssysteme

Dass Shepp Melodien und Worte zur Verfügung standen, bewahrte ihn möglicherweise davor, den gewalttätigen Weg einiger Zeitgenoss/innen bei der Black-Panther-Bewegung zu gehen, auch wenn er ihr nahestand. In der führenden Jazz-Zeitschrift "Downbeat" schrieb er 1965: "Seit 28 Jahren lebe ich in diesen Vereinigten Staaten, einem der übelsten, rassistischsten Gesellschaftssysteme der Welt (...). Unsere Verteidigung wird schwarz sein, so wie Schwarz die Farbe des Leidens ist, so wie Fidel Castro schwarz ist, so wie Ho Chí Minh schwarz ist. Ihr könnt meinen Traum nicht länger stunden. Ich werde ihn singen. Tanzen. Herausschreien. Und wenn nötig, werde ich ihn mir von dieser Erde stehlen. Ihr besitzt die Musik, und wir spielen sie."

Archie Shepp über die Ermordung von Malcom X

Der schreibende Jurist

Shepp, der 1937 in Fort Lauderdale geboren wurde und in einer schwarzen Community in Philadelphia aufwuchs, studierte zunächst Jura und kam dann mit dem Theater in Berührung. Er schrieb Bühnenstücke, Short Storys und später, als er ein berühmter Avantgardist des Jazz war, Lyrics. Er sah sich in der Tradition von Dichtern wie Langston Hughes, war Teil einer größeren Bewegung schwarzer Musiker/innen und Autor/innen jener Jahre - allen voran John Coltrane und Albert Ayler, James Baldwin und Amiri Baraka.

Archie Shepp über die Komplexität seiner Musik

Afroamerikanische Musik, Kunst, Lyrik - das gehörte für Shepp zusammen. Sein Saxofonspiel und seine Songs atmen den Geist des Aufbruchs und Aufruhrs. Dass er sich irgendwann den Wurzeln afroamerikanischer Kultur zuwandte, dem Blues und dem Gospel, verwundert nicht. Die Verbindung zur Herkunft war bei ihm selbst in seiner ästhetisch radikalsten Phase schon zu spüren. Baraka schrieb damals, Shepps Musik sei weltliche Musik, "die Säkularität verlangt". Wahrscheinlich habe er sogar eine Theorie, warum es keinen Gott gebe. "Aber er ehrt die Geister der alten, ‚traditionellen‘, farbigen Menschen und das, was mit ihnen von alters her passiert ist."

Archie Shepp hat sich bis heute seine Wut und Empathie, seine Intellektualität und den Swing bewahrt - er ist der vielleicht wichtigste lebende Protagonist afroamerikanischer Kultur, die in den 1960er Jahren durch freie Formen des Jazz und anderer Kunstformen einen revolutionären Schub erhalten hat. Bei Shepp kommen politisches Bewusstsein, Improvisationskunst und das Poetische zusammen.

Text: Helmut Böttiger, Autor, Literaturkritiker und Essayist