Filmstill aus "Total Refusal How to Disappear

VIENNA SHORTS/HOW TO DISAPPEAR

Kurzfilmfestival

Vienna Shorts 2020 als Onlinefestival

Am Donnerstag startet die 17. Ausgabe des Kurzfilmfestivals Vienna Shorts. Und wie bei allen Festivals derzeit ist es eine Onlineausgabe. Rund 280 Filme mit einer Laufzeit von bis zu 30 Minuten sind in kuratierten Programmen von jeweils 60 bis 100 Minuten zusammengefasst. Das Festival präsentiert sich mit einem ambitionierten Programm und neuer Programmstruktur.

Auf einer digitalen Blumenwiese begrüßt der Festivaltrailer das Publikum. "Der Frühling 2020 wird als der erste wirklich digitale Frühling in Erinnerung bleiben", schreibt das Kollektiv Total Refusal im Begleittext. Dass nicht alles idyllisch ist, deutet am Ende des Trailers ein Feuer im Hintergrund an.

Testballon auf der digitalen Blumenwiese

"Erst kam Corona, dann die Schockstarre und dann ist alles sehr schnell gegangen." Zuerst hätten sie an ein Onlinefestival im Kleinformat gedacht, erzählt Doris Bauer, die seit vergangenem Jahr das Vienna Shorts gemeinsam mit Festivalgründer Daniel Ebner leitet. Über die letzten Wochen sei das Programm dieser 17. Ausgabe aber immer weiter gewachsen: "Es fühlt sich inzwischen an, wie ein normales Festival - wir zeigen rund 280 Filme in 56 Programmen, aufgeteilt zwischen thematischen Schwerpunkten und den jeweils nationalen und internationalen Wettbewerbsprogrammen ‚Fiction & Documentary‘, ‚Animation/Avantgarde‘ sowie dem Wettbewerb um den österreichischen Musikvideopreis." Filme, die durch die Teilnahme an Vienna Shorts dann auch für das Rennen um die Oscars, den europäischen und den österreichischen Filmpreis qualifiziert sind.

Nur neun Euro kostet dabei ein Festivalpass für das gesamte Programm. Entscheidend in der Planung seien die Zusagen von Bund und Stadt Wien gewesen, die Förderzusagen einzuhalten. "Damit wussten wir, dass wir dieses Wagnis eingehen können, ohne, dass wir auch mit großen Einnahmen rechnen müssen", so Daniel Ebner: "Aber letztlich ist es ein Testballon. Und das Programm dieses Testballons Onlinefestival spiegelt einmal mehr die thematische wie formale Diversität im Kurzfilmbereich wider."

"Apiyemiyeki"

"Apiyemiyeki"

ANA VAZ

Von Brasilien über den Oman nach Sibirien

Als in den 1970er Jahren eine Autobahn durch das Gebiet der Waimiri-Atroari im Amazonas gebaut wurde, fehlte der indigenen Bevölkerung die Sprache, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Eine Sprachlosigkeit, die im brasilianischen Film "Apiyemiyeki" in Bilder und Töne übersetzt wird.

Einzelne Wettbewerbsprogramme wie "Ziel unbekannt" laden in 100 Minuten zu einer Reise durch verschiedene Lebensrealitäten, Länder und Landschaften ein: von der arabischen Wüste über den sibirischen Winter bis hin zum kolumbianischen Regenwald, wo im Film "The Backwater" eine Bauernfamilie in einem abgelegenen Haus ankommt. Und wenn in der schwedischen Satire "War in Academia" ein Seminar über Arbeitsverhältnisse im Kunstbetrieb in einem Konflikt zwischen Studierenden und Lehrenden ausartet, dann ist thematisch die Brücke zu jener Unzufriedenheit der heimischen Kulturszene mit der Kulturpolitik der letzten Wochen geschlagen, die das Festival zumindest in seinen Onlinetexten aufgreift. "Das ist schon dem Selbstverständnis geschuldet, dass wir uns als politisches Festival verstehen, als ein Festival, das sehr schnell auf die Welt um uns herum reagieren will. Das ist ja letztlich auch eine der Stärken der kurzen Form, dass sie sehr schnell reagieren kann."

Neue Struktur mit Blick auf die Krise

Wie schnell Festival- und Filmemacher auf die aktuelle Situation reagiert haben, zeigt der Themenschwerpunkt "Co vadis, Pandemie?". In sieben Programmen wird auf der Leinwand von Isolation, der Sehnsucht nach Nähe und nach dem Kinoraum erzählt. Oder auch von der Widersprüchlichkeit im digitalen Raum.

Schauplatz von "Clean With Me" ist der Computerbildschirm der Filmemacherin, die sich durch Putz-Tutorials auf YouTube klickt. Die Absurdität der Selbstinszenierung während des Spülmaschinen Ein- und Ausräumens wird da der Verzweiflung und den Eingeständnissen der Frauen gegenübergestellt, die mit Überforderung kämpfen, während ihre Männer im Krieg sind. Im Film "How to Disappear" wird zwischen philosophischen und historischen Bezügen in den letztlich doch begrenzten Welten des Krieg-Video-Spiels "Battlefield" über Fahnenflucht nachgedacht. Friedliche Handlungen oder gar der Akt des Desertierens sind in den Code des Spiels nicht eingeschrieben.

Die Programmreihe ist Teil der neu geschaffenen Sektion "Expeditionen", in der unter dem Titel "Fokus" dann auch jene Themen abgebildet werden, die in den vergangenen Wochen unter den Teppich der Krisenberichterstattung gefallen sind. Die Frage nach Fairness in neuen Arbeitswelten, Fragen der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, der Menschlichkeit und Würde, etwa im Zusammenhang mit Flüchtlingspolitik und der Realität zwischen Aufnahme- und Abschiebezentren.

Festivalcharakter auch im Wohnzimmer

Bei der Planung dieser Onlineausgabe sei dabei immer auch die Frage im Raum gestanden, wie man das Selbstverständnis und den Charakter des Festivals als Begegnungszone zumindest ansatzweise mit in den virtuellen Raum nehmen kann, sagt Bauer: "Es gibt eine fixe Beginnzeit zu der die Wettbewerbsprogramme starten, die dann auch noch 48 Stunden abrufbar sind. Es gibt teils Anmoderationen, Gespräche mit den Filmschaffenden danach. Es wird ein Konzert und es wird Onlineperformances geben. Also wir bemühen uns, das was wir sonst als Festival tun, auch in den Onlinebereich zu transferieren."

Anders als zuletzt etwa bei den Kurzfilmtagen Oberhausen ist das Programm des Vienna Shorts nur für ein Publikum in Österreich verfügbar, auch um den Filmen dadurch eine mögliche weitere Festivalauswertung in anderen Ländern zu erleichtern. Zugleich haben sich über 1.500 internationale Presse- und Branchenvertreter akkreditiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals hat das Vienna Shorts sein Programm dabei nicht auf VOD-Plattformen ausgelagert, was mit einem temporären Abtreten der Filmrechte verbunden gewesen wäre. Es wird eine gemeinsame Festivalmanagment-Software verschiedener europäischer Festivals genutzt und das Programm auf einem eigenen Festivalhub präsentiert.

Weit über 5.000 Filme wurden für das heurige Festival eingereicht, das in den letzten Jahren noch einmal einen Sprung nach vorne gemacht hat: In der Qualität der Auswahl, aber auch in der Programmierung, in der zwischen unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen immer wieder feine Fäden gesponnen, Parallelen und unterschiedliche Zugänge aufgezeigt, aber auch Perspektivwechsel eingefordert werden.

Service

Vienna Shorts - 28. Mai bis zum 2. Juni 2020

Gestaltung