Umgestürzte Statue

APA/BRISTOL CITY COUNCIL/AFP

Andenken

Soll man Statuen entfernen oder ihre Fundamente?

Lord Nylon hält sich ja an den Grundsatz: Man soll die Idole fallen lassen, wie sie gefeiert werden.

Vor wenigen Wochen haben Antirassisten im englischen Bristol die Statue von Edward Colston zu Fall gebracht. Und das mit gutem Recht. Edward Colston war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einer der Chefaktionäre der Royal African Company und für die Deportation von bis zu 84.000 Afrikanern und Afrikanerinnen mitverantwortlich. Es darf kein mildernder Umstand sein, dass 1895, als die Statue eingeweiht wurde, Colstons Beteiligung am Sklavenhandel längst erfolgreich verdrängt und er dem viktorianischen England nur noch als Wohltäter, als Stifter von Waisenhäusern und Schulen in Erinnerung war. Ich würde die Statue ja stehen lassen als Denkmal für den britischen Imperialismus.

Aber ich würde ihr den Rock von der Hinterseite schleifen lassen, und sie dann auf dem nackten Bronzerücken mit den tiefen, klaffenden, schrundigen Rissen von Peitschenhieben versehen. Und ich würde eine Plakette zu seinen Füßen anbringen mit den Worten:

I gathered my entire wealth
By trading with human souls
their misery fed my good health
their sales bankrolled higher goals

Yes, I am the pride of the Empire
By night I sleep rather well
May in eternal & delicate fire
The Empire & I roast in hell

Aber Lord Nylon wurde mal wieder nicht gefragt. Dabei hab ich noch viele Ideen.

Lord Nylon findet die geschichtliche Rasterfahndung nach Rassisten zunächst mal sehr lobenswert. Doch der Tadel folgt auf dem Fuß. Irgendwie scheint dieser antirassistische Aktivismus auf einem moralischen Weltbild zu gründen, das bis in die Antike zurück die Menschen in nur zwei Kategorien einteilt: in böse Rassisten und in arme Opfer des Rassismus. In Arschlöcher, die andre Menschen aufgrund ihrer Herkunft abwerteten, und in arme, beschützenswerte Opfer – und als Sonderanfertigung in Nathan den Weisen, dem vermutlich einzigen Nichtrassisten vor 1900 - und selbst der war erfunden.

Rassismus scheint hier irgendwie als intentionale Haltung verstanden zu werden, der nur durch eine individuelle Gegenhaltung begegnet werden kann. Dieses Denken ist aber denkfeindlich. Es schnipselt Phänomene aus ihrer Verwobenheit mit Geschichte, Macht und Ökonomie, reduziert sie auf Embleme der moralischen Verwerflichkeit. Auf Unkraut, das man ausreißen und durch die Stiefmütterchen der richtigen Gesinnung ersetzen muss. Dass der Boden umgegraben gehört, auf dem der Rassismus wächst, das versteht dieses denkfeindliche Denken nicht. Der Konzernboss, der People of Color nicht diskriminiert, sondern alle Farbschattierungen gleichermaßen übervorteilt, der antirassistische Politiker, der das Gesundheitssystem privatisiert, und der Textilhersteller, der in Bangladesh Gewerkschaftsfunktionäre erschießen lässt und gleichzeitig Kongresse zu Postcolonial Studies sponsert, sind dann folgreichtig Kandidaten für den „Alles-wird-gut-Award“.

1948 hat man als Gegenmodell zu den weißen Präsidenten von Mount Rushmore ein Profil des Lakotahäuptlings Crazy Horse in die Black Hills gestemmt. Aber fällt der bedingungslosen Kritik Genozids an den First Nation People eine Feder aus der Krone, wenn man weiß, dass die Lakota viele benachbarte Stämme terrorisierten? Wird der transatlantische Sklavenhandel weniger schlimm, wenn man über den innerafrikanischen Sklavenhandel bescheid weiß? Relativiert es den weißen Rassismus in Südafrika, wenn man weiß, dass die Militärdikatur der Zulu sich das Land der alteingesessenen Völker von Norden kommend ebenso unrechtmäßig aneignete wie die Buren von Süden aus? Und verharmlost es den strukturellen Rassismus, wenn man weiß, dass nicht alle gewalttätigen US-Cops weiße Suprematisten, sondern sie und ihre schwarzen Kollegen unterbezahlte verrohte Menschen sind – in einem Krieg gegen die Bewohner von Armenvierteln sind, und dass diese Armenviertel größtenteils von Schwarzen und Latinos bewohnt werden, was der eigentliche Skandal des strukturellen Rassismus in den USA ist. Und den wird man nicht durch Niederknien, Awareness und Besuch von Hiphopkonzerten aus der Welt schaffen.

Eine Gesellschaft gibt sich bereits eine Selbstdiagnose dadurch, wem sie Denkmäler setzt und wem nicht. Wer Statuen auszupfen will, will die sichtbaren Schwammerln des unterirdischen Pilzgeflechts ausreißen, er will dafür sorgen, dass man das Schlechte nicht mehr sieht.
Viel fantasievoller, klüger, subversiver und lehrreicher als die Statuen zu fällen wäre ihre argumentative Verfremdung. Schmeißt den Karl-Lueger nicht um, sondern setzt ihm einen kleinen Kupfer-Hitler auf die Schulter, der ihm verliebt den Bart krault.
Andere Baustelle: Niemand kam auf die Idee, die Statue von Margaret Thatcher in Westminster zu stürzen, lieber geht man auf Columbus los und Immanuel Kant. Aber das ist auch gut so, denn sie bräuchte man weder stürzen noch verfremden. Dieser bronzene Abguss der Eisernen Lady ist das perfekte montypythonhafte Abbild ihres Wesens, er ist bereits die zu Bronze erstarrte satirische Kritik der Godmother des Neoliberalismus.

Im Übrigen sind die meisten Statuen peinlich, sie sind Schandmahle der Ehrerbietung, die man Betrügern, Massenmördern, schlechten Dichtern und nationalen Pin-ups zollt, anstatt denen, die sie verdienen: den Konstrukteuren und Bauern der Kanalisationen, den Träumern, Spinnern und Devianten. Denn nur zwei Menschentypen verdienen Statuen, solche, die zum Fortschritt der Menschheit beigetragen haben, und solche, die nie mit dem Strom schwammen.

Sollte man Lord Nylon je eine Statue errichten, dann müsste aus deren Schniedel unversiegbar Gratis-Champagner für alle sprudeln, jawohl.

Text: Richard Schuberth

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