Virgin Gorda - CC BY-SA 3.0
Im Gespräch
"Komm, wir machen ein Kino auf!"
Renata Schmidtkunz im Gespräch mit Vera Graaf, Amerikanistin und Journalistin.
1. September 2020, 02:00
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Im Gespräch | 20 08 2020
Es war weniger eine geniale Geschäftsidee denn eine leidenschaftlich verfolgte Mission, als Vera Graaf und ihr Partner Michael Zimmer sich im Jahr 1974 dazu entschlossen, in der Karibik ein Kino zu eröffnen. Ihr gemeinsames Ziel war kein geringeres, als den circa 2.000 Einwohner/innen der Insel Virgin Gorda "die große Welt" und die westliche visuelle Kultur näherzubringen. Kurzerhand quartierten sie sich in einem unter Kokospalmen stehenden Haus auf der karibischen Insel ein, kauften einem Pornofilmtheater in Miami alte Kinosessel ab, zeichneten Plakate und stellten Einheimische als Personal ein. Aus dem Liebespaar waren Komplizen geworden.
Leipzig - New York - Karibik
Schon als Jugendliche hatte die 1940 in Leipzig geborene Journalistin und Amerikanistin Vera Graaf in Berlin als Platzanweiserin im Kino gejobbt. 1969 zog sie nach New York, wo sie zunächst in einer Galerie, später in einer PR-Abteilung arbeitete. Als sie Christiane Zimmer, die Tochter Hugo von Hofmannsthals, kennenlernte und sich in deren Sohn, den Architekten Michael Zimmer, verliebte, ließ sie erneut alles hinter sich: Zwischen 1972 und 1978 lebten die beiden als Aussteiger in der Karibik.
"Ich hatte keine Wahl, war bereit für die Offenbarung - und diese Offenbarung hieß Michael", schreibt Graaf in ihrem Buch "Hofmannsthals Enkel - Das karibische Große Filmtheater", das heuer im Juni im Müry Salzmann Verlag erschienen ist.
PRIVAT
Vera Graaf und Michael Zimmer
Filmtheater auf Virgin Gorda
Für Graaf war das Leben in der Karibik ein Abenteuer, für den 1934 in Heidelberg geborenen Michael Zimmer der Versuch, sich von seiner Familiengeschichte und dem berühmten Großvater zu lösen. Enkelsohn des Begründers der Salzburger Festspiele zu sein, hatte aber auch Vorteile: Mit dem Familienvermögen finanzierte sich das Paar sein karibisches Dolcefarniente ebenso wie sein Filmtheater auf Virgin Gorda.
Da sie bei der Eröffnung des Kinos "Der Pate" gezeigt hatten, wurden Vera Graaf und Michael Zimmer von den Inselbewohner/innen "Godfather" und "Godmother" genannt. Während aber Zimmer in der Planung und Organisation des Kinos aufging, fühlte sich Graaf oft einsam. Sie litt unter dem Gefühl, auf der Insel eine Außenseiterin zu sein. Und obwohl sie sich für die spiritistischen Bräuche und Geistergeschichten der Einheimischen öffnete, blieb ihr die patriarchale und stark hierarchisch strukturierte Gesellschaft auf Virgin Gorda fremd. Sie erkannte, dass sie kaum etwas über die Bewohnerinnen und Bewohner der Insel wussten.
Kulturkorrespondentin nach der Rückkehr
Das Argus, so hatten Graaf und Zimmer ihr karibisches Kino getauft, konnte seinem Namen nicht gerecht werden. Allzu viele Augen verfolgten die Filme meist nicht mit; und bis zuletzt konnten die beiden kein Gespür für die cineastischen Vorlieben ihres Publikums entwickeln. Als sie zahlungsunfähig wurden, entschieden sie sich, die Insel zu verlassen. Die Abreise glich einer Flucht: Vera Graaf und Michael Zimmer setzten weder ihr Personal noch die Vermieterin der Kinoräumlichkeiten in Kenntnis, ließen das Mobiliar zurück und stiegen in der Nacht in ein Boot.
JONATHAN MORSE
Zurück in New York begann Vera Graaf für deutsche Printmedien zu schreiben, darunter "Die Zeit", "Der Spiegel" und "Die Welt". Von 1990 bis 2000 arbeitete sie als Kulturkorrespondentin für die "Süddeutsche Zeitung", danach bis in das Jahr 2010 als Dokumentarfilmerin. Von ihrem Leben mit dem 2008 verstorbenen Michael Zimmer und ihrem Kino in der Karibik erzählt Vera Graaf im Gespräch mit Renata Schmidtkunz.
Text: Viktoria Waldhäusl