Das Szenenfoto zeigt zwei gleich gekleidete Paare auf einer Bühne

APA/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Oper

Neuenfels' "Entführung" an der Staatsoper

Seit mehr als 20 Jahren hat es an der Wiener Staatsoper keine Inszenierung von Mozarts Singspiel "Die Entführung aus dem Serail" gegeben, und dass obwohl das Stück als eines seiner populärsten Bühnenwerke gilt. Bogdan Roscic hat die Oper, die 1782 am Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde, in einer preisgekrönten Regiearbeit von Hans Neuenfels ans Haus geholt.

Mit Lisette Oropesa (Konstanze), Emanuela von Frankenberg (Konstanze - Schauspielerin), Daniel Behle (Belmonte), Christian Natter (Belmonte - Schauspieler), Regula Mühlemann (Blonde), Stella Roberts (Blonde - Schauspielerin), Michael Laurenz (Pedrillo), Ludwig Blochberger (Pedrillo - Schauspieler), Goran Juric (Osmin), Andreas Grötzinger (Osmin - Schauspieler), Christian Nickel (Bassa Selim). Chor und Orchester der Wiener Staatsoper. Dirigent: Antonello Manacorda

Hans Neuenfels' Inszenierung von Mozarts Entführung aus dem Serail wurde vor 22 Jahren in Stuttgart zum Sensationserfolg. Sie wurde zur besten Aufführung des Jahres gewählt und erreichte mit ihrer Doppelbesetzung Kultstatus. Neuenfels hat jedem Sänger und jeder Sängerin ein Double zur Seite gestellt - einen Gegenspieler, ein Alter Ego einen Schatten. Für die Probenarbeiten der aktuellen Produktion ist der Regiealtmeister nach Wien gekommen.

Die einen begrüßten einen Klassiker in ganz neuer Dynamik, die anderen verdammten diese Form der Werkzurichtung. Dennoch: Im Jahr 2020 kann man offenkundig auch auf der heimischen Opernbühne mit Neuenfels leben.

Die Seelen-Lupe

"Es ist eine der besten Inszenierung, die ich gesehen habe in meinem Leben", sagt der aus Italien stammende Dirigent Antonello Manacorda, der sich in den letzten Jahren zum international gefragten Mozart-Spezialisten entwickelt hat: "Die doppelte Dimension, wo die Figuren zweimal besetzt sind - mit Schauspieler und Sänger, gibt viele Interpretationsmöglichkeiten - sowohl dem Zuschauer, als auch dem Dirigent."

Neuenfels selbst versteht die zweite Figur als eine Art Seelen-Lupe. "Das kommt aus dem Gedanken der Mozart‘schen Identitätssuche, die ganz stark in diesem Stück vorhanden ist, überhaupt aus der Frage Wer bin ich? Was suche ich?" Einzig der Herrscher Bassa Selim, eine reine Sprechrolle, bleibt ohne zweitem Ich. Er ist der Prototyp des aufgeklärten, humanistischen Menschen. Obwohl er die schöne Konstanze, die er liebt, in seiner Gewalt hat, überlässt er sie am Ende kampflos ihrem Verlobten, der noch dazu der Sohn seines Erzfeindes ist.

"Die Zeiten haben sich geändert, aber die vielen Details und Erfindungen, die wir damals gemacht haben, haben sich so gehalten, dass wir nichts davon infrage gestellt haben."
Hans Neuenfels

Morgenjournal | 12 10 2020 | Vorbericht

Katharina Menhofer

"Nimm deine Freiheit, nimm Konstanze und segle in dein Vaterland" - Im bösen Aufseher Osmin sind alle negativen Eigenschaften des Fremden vereint. Ein gewalttätiger Lüstling, der sich an abgetrennten Gliedmaßen ergötzt und den Gefangenen unter dem Motto 'Erst geköpft, dann gehangen', Schlimmes androht.

Goran Jurić und Michael Laurenz

WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Musikalisch passte Mozarts Singspiel mit seinen folkloristischen Einschüben und den vielen Schlaginstrumenten in die damals höchst populäre Schublade "Türkische Oper". Und war doch weit mehr, ein reifes Werk des damals 26-Jährigen, in dem er erstmals das Bassetthorn einsetzte.

Am Ende lässt Neuenfels Bassa Selim als kleines Memento Mori das Mörike-Gedicht "Denk es oh Seele" rezitieren. Ein ernsthafter und runder Abschluss einer sonst an Einfällen reichen und bunten Inszenierung, die 22 Jahre nach ihrer Stuttgarter Premiere das Wiener Repertoire bereichern soll. Dass sie dabei kaum verändert werden musste, darf als Zeichen ihrer Haltbarkeit verstanden werden. Zu überprüfen, ab heute Abend an der Wiener Staatsoper. Ö1 überträgt Mozarts Entführung aus dem Serail am 24. Oktober.