Phil Spector

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Musikproduzent Phil Spector ist gestorben

Der Schöpfer der "Wall of Sound" im Gefängnis gestorben. Rückblick auf die visionären Alleingänge eines egomanischen Produzenten.

Er war einer der eigenwilligsten, visionärsten und erfolgreichsten Musikproduzenten des 20. Jahrhunderts. Und er war gleichzeitig eine der seltsamsten und unberechenbarsten Künstlerpersönlichkeiten im Pop-Geschäft. Am 16. Jänner ist Phil Spector 81-jährig gestorben - und zwar im Gefängnis, wo der notorische Waffennarr die letzte Dekade seines Lebens wegen Mordes an der Schauspielerin Lana Clarkson verbrachte.

Unkonventionelle Aufnahme- und Mixing-Methoden

Phil Spectors Einfluss auf die Musikgeschichte kann kaum überschätzt werden: Er brachte Rock'n'Roll und Soul zusammen und ließ lateinamerikanische Percussion einfließen. Vor allem aber entwickelte er neuartige Klangideale, die er mit unkonventionellen Aufnahme- und Mixing-Methoden zu verwirklichen wusste.

Dass er beispielsweise für die Aufnahme des 1971 von George Harrisons organisierten "Concert for Bangladesh" gleich 44 Mikrofone auf der Bühne platzierte, kann für die damalige Zeit als geradezu revolutionär gelten. Seine visionären Konzepte entwickelte Spector aber schon als Zwanzigjähriger. Nachdem er 1958 noch selbst als Musiker in Erscheinung getreten war und mit seiner Band The Teddybears den Nummer-eins-Hit "To know him is to love him" gelandet hatte, wechselte er bald auf die andere Seite der Glasscheibe im Studio.

Phil Spector, 2009

Phil Spector, 2009

AP/JAE C. HONG

Little symphonies for the kids

Nicht einfach Rock'n'Roll Songs wollte Phil Spector produzieren, sondern "little symphonies for the kids", wie er es nannte. Das ist ihm gelungen. Allein zwischen 1960 und 1965 landete der innovative Produzent über 25 Top-40-Hits in den USA, allesamt unverwechselbar in ihrem Sound, und darunter zahlreiche Songs, die auch heute noch wie selbstverständlich unser Leben begleiten - "Songs that last three minutes and forever", wie es Musikjournalist Kurt Loder im "Rolling Stone Magazine" einmal treffend ausdrückte.

Die grandiosen Girlie-Bands The Crystals und The Ronettes verdanken wir ihm ebenso wie die größten Hits der Righteous Brothers oder Tina Turners "River Deep - Mountain High", aber natürlich auch John Lennons und George Harrisons erste Platten als Solokünstler und das Beatles-Album "Get Back". Nachdem im September 1969 mit "Abbey Road" das eigentlich letzte Album der Fab Four erschienen und das Ende der Band schon beschlossene Sache war, blieben da immer noch diese unveröffentlichten Bänder der "Get Back Sessions" vom Jänner desselben Jahres, bei denen niemand so recht wusste, was daraus werden sollte. Also wurde Phil Spector, der bei Lennons Solo-Single "Instant Karma!" gerade erstklassige Arbeit geleistet hatte, beauftragt, die bestehenden Aufnahmen neu zu mischen und in ein brauchbares Album zu verwandeln.

Phil Spector

AP/ADAM SCULL

Phil Spector

Am liebsten ohne die Künstler

Wer Phil Spector bestellt, der kriegt auch Phil Spector! Nach dieser Devise machte er sich an die Arbeit. Für Kompromisse hatte er sich nie zuständig gefühlt. Und am liebsten arbeitete er bei der Abmischung allein, das heißt vor allem ohne die Künstler, deren Aufnahmen er am Mischpult und mit Overdubs zu veredeln gedachte. Da kam es nur gelegen, dass Paul McCartney und John Lennon gerade nicht im Studio waren und Ringo Starr sich um andere Aufnahmen kümmern musste, als Phil Spector daran ging, McCartneys Song "The Long and Winding Road" kräftig aufzublasen und mit einem üppigen Klangteppich zu versehen. 14 Background-Sängerinnen lud er dafür ins Studio, dazu einen Haufen Bläser und Streicher.

McCartney war stinksauer - trotz der Nummer-eins-Platzierung in den amerikanischen Charts. 2003 veranlasste er in seiner verletzten Eitelkeit eine Neuauflage des gesamten Albums unter dem Titel "Let it be… Naked" - also ganz ohne die kräftigen Gewürzmischungen von Phil Spector. Harrison und Lennon hingegen waren von den unkonventionellen Methoden des US-Amerikaners fasziniert und überließen auch ihre folgenden Soloalben seinen goldenen Produzentenhänden.

Gespaltene Meinungen

Spätestens seit 1970 also spaltet Phil Spector die Geister, auch unter den Hörern. Vor allem zwei seiner Schallplattenproduktionen haben die Fangemeinden der entsprechenden Musiker ziemlich erzürnt: 1980 das Ramones-Album "End of the Century" und drei Jahre zuvor Leonard Cohens "Death of a Ladies' Man". Da war auch Cohen selbst alles andere als überzeugt; seine Einschätzung des Ergebnisses: "Grotesk!". Spector hatte der Musik all die Intimität und Wärme genommen, die Fans von Cohen gewohnt waren, und stattdessen opulente Klangkaskaden mit dröhnenden Echo-Effekten und fetten Bläserarrangements entworfen.

Wall of Sound - ein innovatives Klangideal

Aber Phil Spectors Musik will nun einmal nicht klar und transparent sein, sondern eindringlich und massiv. Nur der Gesamtklang war ihm wichtig, nicht die einzelnen Instrumente, die bei ihm oft ununterscheidbar ineinander verschwimmen. Bei vielen Songs ließ er beispielsweise nicht nur eine Gitarre die Akkordbasis spielen, sondern gleich mehrere - am besten vom selben Gitarristen mehrmals hintereinander auf eigenen Spuren aufgenommen. Dazu Bläser, Streicher, Backgroundvocals und hämmernde Drums. Wie eine Mauer sollte die Musik dastehen.

Unter dem Begriff "Wall of Sound" ist sein innovatives Klangideal denn auch in die Geschichte eingegangen. Da war es nur konsequent, dass der Pionier Spector altmodisch und skeptisch war, wenn es um die damals noch junge Stereophonie ging: zwei Lautsprecher, die Unterschiedliches liefern, konnten seiner Überzeugung nach auch keine kompakte Klangmauer bilden. Er aber wollte, dass seine Hits auch ein billiges Mono-Küchenradio in eine Disco verwandeln. Und das tun sie bis heute.

Gestaltung: Michael Neuhauser