Roberto Sacca (Nicias), Nicole Chevalier (Thaïs), Arnold Schoenberg Chor, Statisterie des Theater an der Wien

WERNER KMETITSCH

"Thaïs" mit dem RSO Wien

Mönch im Sinnestaumel

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien mit Jules Massenets Oper "Thaïs" aus dem Theater an der Wien. In der Titelrolle ist Nicole Chevalier zu hören, an ihrer Seite Josef Wagner.

Drei Jahrzehnte, bevor er den Literatur-Nobelpreis erhielt, löste der französische Schriftsteller Anatole France mit seinem historischen Roman "Thaïs" einen Skandal aus. France versetzte seine Leser in das Alexandria des 4. Jahrhunderts, um von einem Mönch zu erzählen, der sein Lebenswerk dadurch krönen will, dass er die berühmteste Kurtisane der Stadt zum Christentum bekehrt.

Antiklerikale Satire

Das Vorhaben gelingt zwar, dass aber Athanaël selbst in Liebe zu Thaïs verbrennt, ist die bittere Pointe einer Erzählung, die der Kirche vorhält, mit ihrer Verleugnung der menschlichen Lust das Spannungsfeld zwischen Spiritualität und Sinnlichkeit zu ignorieren. Die Pariser Gesellschaft fühlte sich, als der Roman 1890 erschien, von dem antiklerikalen Subtext brüskiert.

"Mein Glück ist, dass das alles heute noch gültig ist" Peter Konwitschny

Zwei Jahre später nahm sich Jules Massenet des Romans an. Der französische Opernkomponist gehörte zu den geachtetsten Tonsetzern seiner Zeit. Mit "Manon" und "Le Cid" hatte er einst die Pariser Bühnen erobert, bei Werther lag ihm sogar das Wiener Publikum zu Füßen. In allen drei Fällen handelte es sich um Weltliteratur, ihre Quellen über jeden Zweifel erhaben. Hingegen "Thaïs"? Ein politisch motiviertes Kammerspiel der Gefühle?

Massenet fand den richtigen Ton

Doch Massenet schenkte der Partitur alles: Eleganz, Verführung, Farbenpracht. Er fand den richtigen Ton für Strenge wie für Erotik, für das pralle Leben in Alexandria wie für den qualvollen Fußmarsch durch die Wüste, für die Genüsse des Orients wie für den Verzicht des Einsiedlers. Mit der "Méditation", einem Violinsolo zum Summchor für den Moment, in dem Thaïs sich dem Christentum zuwendet, komponierte er sogar einen Ohrwurm. Die Oper geriet darüber weitgehend in Vergessenheit.

Regiealtmeister Peter Konwitschny im Gespräch

Sebastian Fleischer

Das Theater an der Wien - und mit ihm Ö1 - lassen dieses Juwel der französischen Operngeschichte im Jänner erneut funkeln. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wird geleitet von Leo Hussain, Regie führt Peter Konwitschny. Im Februar 2017 hatten die beiden im Theater an der Wien mit Werner Egks "Peer Gynt" ein Werk wiederbelebt, das ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen, an den Rand der Operngeschichte gedrängt worden ist.

Im Zentrum einer jeden "Thaïs"-Aufführung aber stehen Sopran und Bassbariton, zwei gefürchtet anspruchsvolle Partien. Die US-amerikanische Sopranistin Nicole Chevalier stellte sich im Theater an der Wien bereits als Leonore vor und glänzte 2019 bei den Salzburger Festspielen als Elettra in Mozarts "Idomeneo". Auch der Österreicher Josef Wagner, ausgebildet in Wien und lange Jahre Ensemblemitglied der Volksoper, hat in Salzburg Erfolge gefeiert, bevor er insbesondere auf französischen Bühnen und an der Deutschen Oper Berlin reüssierte.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien

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