Vitamin-D-Tabletten

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Radiokolleg

Nahrungsmittelergänzung in Pillenform

In den Industrieländern schluckt fast jeder zweite Erwachsene ein Multivitaminpräparat. Die bunten Pillen und Kapseln voll, meist überdosierten, Vitaminen und Spurenelementen galten lange Zeit als eine Kreuzung zwischen Jungbrunnen und Allheilmittel. Immer mehr Studien zeigen, dass dies nicht der Wahrheit entspricht – im Gegenteil.

Vitamin C sollte beispielsweise vor Erkältung oder die B-Vitamine vor altersbedingtem geistigen Abbau schützen. Immer mehr Überblicksstudien kommen zu dem ernüchternden Schluss, dass die Vitamine in Pillenform nicht nur nicht halten, was man sich von ihnen verspricht. Im Gegenteil: Sie können sogar schaden. Hohe Dosen von Vitamin E erhöhen etwa das Risiko für Prostatakrebs; und Beta-Karotin (Provitamin A) kann bei Rauchern zu Lungenkrebs führen.

Mandarinen

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Vitamine sind lebensnotwendige Nährstoffe

Dabei leisten Vitamine eine Vielzahl von positiven Diensten: beispielsweise für den Zellstoffwechsel, die Blutbildung, den Knochenaufbau sowie dessen Erhaltung, für das Immunsystem, für die Hirnfunktion. Vitamine sind für den Menschen nicht nur wichtig. Sie sind schlicht lebensnotwendige Nährstoffe.

Es gibt 13 Vitamine: Neun sind wasserlöslich. Das sind die acht B-Vitamine sowie Vitamin C, also die Ascorbinsäure. Die Vitamine A, D, E und K sind fettlöslich. Mit Ausnahme von Vitamin D, das unser Körper mithilfe der Sonne produzieren kann, müssen wir alle diese Substanzen von irgendwoher beziehen. Wenn Vitamine fehlen, kommt es zu schweren Mangelkrankheiten und sogar zum Tod. Die gefürchtete Seefahrerkrankheit, Skorbut etwa, wird durch Vitamin-C- und Rachitis durch Vitamin-D-Mangel verursacht.

Höhere Dosies bedeutet nicht mehr Nutzen

Der Grundgedanke also, Vitamine verhindern Krankheiten, ist im Prinzip richtig. Allerdings leidet in den westlichen Industrieländern kaum jemand mehr an kritischem Vitaminmangel. Aber es gibt auch hier bestimmte Gruppen, die sehr wohl von künstlichen Vitaminen und Spurenelementen profitieren. Wie zum Beispiel Menschen die an einer entzündlichen Darmerkrankung oder Zöliakie leiden. Der Mensch braucht jedoch von jedem Nährstoff nur eine bestimmte Menge. Die Zufuhr einer größeren Menge bedeutet nicht automatisch mehr Nutzen. Daher gilt unter Experten vor allem die krasse Überdosierung der Nährstoffe in den Präparaten als Problem.

Hier wird von den Herstellern wahrlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Beispiel: das Vitamin E. Der Tagesbedarf für einen gesunden Erwachsenen liegt bei 15 Milligramm. Dieser lässt sich problemlos mit, sagen wir, zehn Deka Mandeln decken. Doch das durchschnittliche Vitamin-E-Präparat enthält rund 250 Milligramm der Substanz. Also fast das 20-fache. Vitamin E ist noch dazu ein fettlösliches Vitamin. Das bedeutet: Es kann sich im Gewebe einlagern. Den Überschuss von wasserlöslichen Vitaminen wird man durch die Ausscheidung wieder los. Allerdings gibt es auch hier Risken: Wer lange Zeit hohe Dosen Vitamin C konsumiert, kann sich Nierensteine anzüchten.

Unterschiedliche Vitaminkapseln

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Ernüchternde Erkenntnisse

Die erste große und zutiefst ernüchternde Studie, dass Vitaminpräparate sogar schaden können, erschien schon vor 20 Jahren im „New England Journal of Medicine“. Ihr Titel lautete: Die Wirkung von Vitamin E und Betacarotin auf Lungenkrebs sowie andere Krebserkrankungen bei Rauchern. Sie zeigte, dass hohe Dosen von Vitamin E das Risiko für Prostatakrebs erhöhen; und Beta-Karotin (Provitamin A) bei Rauchern zu Lungenkrebs führen kann.

Solche Hiobsbotschaften über künstliche Vitamine sind mittlerweile eigentlich an der Tagesordnung. 2008 evaluierte die Cochrane Collaboration - eine internationale Organisation, die medizinische Studien bewertet - fast 70 Studien, an denen insgesamt mehr als 230.000 Menschen teilnahmen. Das niederschmetternde Ergebnis: Hohe Zufuhren von Betacarotin sowie den Vitaminen A und E erhöhen die Sterblichkeit.

2011 analysiert ein US-finnisches Team, ob eine Reihe von künstlich zugeführten Nährstoffen – von Vitamin B6 bis Eisen und Magnesium – lebensverlängernd wirkte. Die Daten stammten von fast 40.000 Frauen über einen Zeitraum von 25 Jahren. Das Ergebnis: Regelmäßige Supplemente verkürzten eher das Leben. Ähnlich ernüchternd war auch eine Studie mit 35.000 Männern und den Nährstoffen Vitamin E bzw. Selen. Die Nährstoffe erhöhten das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken.

Genug ist genug

Eine US-amerikanische Forschergruppe formulierte ihre Schlussfolgerung über den angeblichen Nutzen von Vitaminpräparaten kürzlich in der angesehenen Fachschrift, Annals of Internal Medicine, ungewöhnlich plump und drastisch: "Es reicht. Hören Sie auf, Ihr Geld für Vitaminpillen zu verschwenden."

Zu dieser Meinung kamen die Forscher nach der Übersicht über mehr als zwei Dutzend, teils großangelegte Vitaminstudien, etwa zu Hirnfunktion und Herz-Kreislauferkrankungen. Angesichts der Datenlage sollten gesunde Menschen aufhören Vitaminpräparate zu schlucken und stattdessen den notwendigen Vitaminbedarf des Körpers aus gesunder, ausgewogener Nahrung decken: das erwähnte Vitamin E findet sich in Nüssen, Spinat und Brokkoli; Beta-Karotin steckt in Karotten, Paprika und Marillen.

Gestaltung

  • Madeleine Amberger