Die Sonne scheint durch in Gipfelkreuz

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Tao - aus den Religionen der Welt

Gott finden in allen Dingen - Einblicke in die christliche Mystik

Gott nicht nur als Gegenüber, sondern im Innersten zu sehen, das ist der Kerngedanke christlicher Mystik. Immer geht es um die Erfahrung des Göttlichen und seines Wirkens im eigenen Herzen, im eigenen Leben, um die Vereinigung, die Einswerdung mit Gott bereits auf Erden.

Dabei ist die Erfahrung Gottes, die Ergriffenheit von diesem großen Geheimnis, in der christlichen Tradition meist "erschütternd" im wahrsten Sinn des Wortes. Diese vier Mystiker/innen haben das - so die Überlieferung - erlebt und inspirieren Menschen bis heute.

„Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“

Teresa von Ávila

Die Statue der Heiligen Teresa von Ávila auf dem Hauptaltar des Klosters Santa Teresa in Avila.

Teresa von Ávila, Freundin Gottes

Teresa von Avila gilt als eine der bedeutendsten katholischen Mystikerinnen. Und die im Jahr 1515 als Enkelin eines getauften Juden im spanischen Ávila geborene Teresa de Ahumada stand mit beiden Beinen fest auf der Erde, sie soll auch die schmutzigen Kochtöpfe im Gebet erwähnt haben. Gleichzeitig hatte die Ordensfrau Visionen, erklärt Marianne Schlosser, Professorin für Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien: „Nach der Tradition der christlichen Mystik ist die Erfahrung Gottes eine erschütternde, die auch den Menschen aus der Bahn werfen kann. Es erfordert eine Bekehrung, weil Gott sich auch als der Heilige zeigt. Das war bei Teresa von Ávila so erschütternd, dass ihr - sagt sie an einer Stelle - die Haare zu Berge standen.“

Fast wäre die „religiöse Revoluzzerin“ auf dem Scheiterhaufen der Inquisition gelandet; sie hatte die Unterdrückung von Frauen und die Inquisition in einer ihrer zahlreichen Schriften kritisiert. Mit 20 Jahren war sie - gegen den Willen ihres Vaters - in ein Karmeliterinnenkloster eingetreten. Teresa von Ávila setzte sich für eine „attraktive, menschliche und barmherzige Kirche“ ein und reformierte den Orden. Heute leben rund 10.000 Schwestern nach ihren Regeln in allen Kontinenten der Erde - auch in Teresas Geburtsstadt Ávila.

Manchmal wird der Begriff „Mystik“ auch vom griechischen Verb myein, „die Augen schließen“, Abkehr von der äußeren Welt, Sammlung und Versenkung, abgeleitet. Doch christliche Mystik ist keine Flucht in selbstbezogene Innerlichkeit und vor Verantwortung. Im Gegenteil, sagt Marianne Schlosser, die ebenfalls an der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien lehrt und forscht: „Wenn jemand, wie Teresa, eine echte mystische Erfahrung von der Güte Gottes hat, nimmt er oder sie auch schärfer wahr, was in der Welt nicht heil ist, die Barmherzigkeit wächst. Und er/sie nimmt auch wahr, wie wenig er/sie das selbst verdient hat, das heißt auch die Demut wächst. Und er/sie erfährt auch, was es heißt, seine Hoffnung auf Gott zu setzen, weil Gott nicht mit der Welt identisch ist, sondern sie in seinen Händen hält. Das heißt, es wachsen Gelassenheit und innerer Friede, bei allem Engagement.“

Meister Eckhart, Prediger der Innenschau

Im Christentum geht es um die Erfahrung des dreifaltigen Gottes, die Ergriffenheit von diesem großen Geheimnis. Meister Eckhart, der im Jahr 1260 in Thüringen geborene Mystiker, beschäftigt Martina Roesner seit Jahrzehnten. Insbesondere die Fähigkeit des einflussreichen spätmittelalterlichen Theologen und Philosophen, als Universitätsprofessor in Paris und Köln einen wichtigen Beitrag zur deutschen philosophischen Fachsprache zu leisten und gleichzeitig als Dominikanermönch in seinen Predigten komplexe theologische Zusammenhänge in einfacher Sprache zu kommunizieren.

So erreichten seine Lehren schon damals unterschiedliche Bevölkerungs- und Bildungsschichten - und die zentralen Gedanken des Theologen aus dem 13. Jahrhundert regen Menschen bis heute zum Nachdenken an. Seine Kernaussagen, so erläutert Martina Roesner, basieren auf den zentralen Aussagen des Christentums: „Dass Gott in Jesus Christus die menschliche Natur angenommen hat und Mensch geworden ist, also die Inkarnation. Und Eckharts Spezifikum liegt jetzt darin zu sagen: Gott ist nicht nur in Jesus von Nazareth Menschen geworden, in dieser Person damals vor 2000 Jahren, sondern in jedem Menschen. Das heißt, in jedem Menschen nimmt Gott Fleisch an.“

Als Konsequenz soll, ja muss man sich dem oder der Nächsten zuwenden, weil auch er beziehungsweise sie Kind Gottes ist. Die mystische Gotteserfahrung war Meister Eckharts Lebensthema. Die Hinwendung zu Gott sollte zu einer Erfahrung führen, die er „Gottesgeburt in der Seele“ nannte. Gemeint ist, dass die Seele die Göttlichkeit ihrer eigenen Natur wahrnimmt und so Gott in sich selbst findet. „Paradoxerweise hat Eckhart auf die Frage - woran merke ich, dass ich eins mit Gott geworden bin - geantwortet: Wenn du davon gar nichts merkst. Es geht nicht darum, etwas Besonderes zu erleben, sondern der Tatsache inne zu werden, dass es in mir etwas gibt, das nicht menschlich ist, sondern göttlich - einen göttlichen Funken. Den kann ich natürlich nicht beobachten, das ist kein übernatürlicher Chip, der mir eingepflanzt ist, sondern der Grund der Seele ist der Ort - wie Eckhart sagt - wo Gott beständig seinen Sohn gebiert, das heißt wo Gott permanent Mensch wird auch in mir.“

Doch Meister Eckharts unkonventionelle, teils provozierend formulierten Aussagen erregten damals großes Aufsehen, erzählt Martina Roesner. Gegen Ende seines Lebens wurde er wegen Häresie - also wegen Widerspruchs zu kirchlich-religiösen Glaubensgrundsätzen - denunziert und angeklagt. Er starb noch vor Abschluss des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens.

Hildegard von Bingen, Lehrerin der Ganzheitlichkeit

Marianne Schlosser hat sich insbesondere mit den Vertreterinnen der christlichen Mystik auseinandergesetzt: „Hildegard von Bingen ist zum Beispiel eine ganz außergewöhnliche Frau. Sie beschreibt selbst, wie sie ihre Schauungen hat und bei ihr ist die Erfahrung sehr stark prophetisch. Also Gottes Licht zeigt ihr etwas über die Schöpfung, über die Heilsgeschichte und erfährt die Gegenwart Christi weniger als bester Freund, wie das beispielsweise bei Teresa von Ávila und Katharina von Siena der Fall ist.“

Hildegard wurde im Jahr 1098 in Bingen als zehntes Kind einer gräflichen Familie geboren. Sie war Äbtissin und Universalgelehrte, Theologin, Dichterin und Komponistin, Naturwissenschaftlerin und Ärztin. Hildegard von Bingen war ein kränkelndes Kind und soll bereits ab dem dritten Lebensjahr und bis zum Ende ihres Lebens göttliche Visionen, Schauungen, gehabt haben, in denen sie Gottes unmittelbare Gegenwart erfuhr. Bereits 1147 wird diese Gabe von Papst Eugen dem Dritten anerkannt. Hildegard gilt von nun an als „deutsche Prophetin“ und darf predigen, die Bibel auslegen, schreiben und ihre Schriften veröffentlichen, aber: „die sind nämlich gar nicht einfach zu verstehen und nicht leicht zugänglich. Sie sind ganz bildhaft und reich an Hintergrundwissen“, sagt Marianne Schlosser und versucht, der Attraktivität von Hildegard von Bingen heute auf die Spur zu kommen. „Hildegard hat eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen, als ein Geschöpf Gottes. Er hat in dieser Welt eine Aufgabe und soll in dieser Welt den Willen Gottes verwirklichen und dadurch auch ganz und heil zum Heil gelangen. Das ist für heutige Menschen, die oft ihrer Umwelt und auch sich selbst entfremdet sind, ein wichtiger Ansatzpunkt.“

Heute gilt Hildegard von Bingen als bedeutendste Theologin und Intellektuelle des Mittelalters. Doch erst im Jahr 2012 wurde das bereits 1228 eingeleitete Verfahren abgeschlossen und sie von Papst Benedikt dem Sechzehnten heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin ernannt. Kirchenlehrer, "Doctor Ecclesiae" ist ein Titel, der nur vom Papst verliehen werden kann. In der aktuellen Liste der 36 Namen finden sich derzeit vier Frauen: neben Hildegard von Bingen und Therese von Lisieux auch Katharina von Siena und - sie war die erste in der Geschichte der katholischen Kirche - Teresa von Ávila.

Juliana von Norwich, Visionärin der Liebe

"All shall be well", "Alles wird gut (sein)" ist ein heute vielzitierter Slogan. Die wenigsten wissen wohl, dass er seine Wurzeln im England des 14. Jahrhunderts hat. Damals wütet die Pest und tötet allein in Norwich ein Drittel aller Bewohnerinnen und Bewohner. Gleichzeitig tobt jenseits des Kanals der "Hundertjährige Krieg". Und in diese Situation hinein sagt die theologisch-prophetische Visionärin und Mystikerin Juliana von Norwich: "All shall be well", "Alles wird gut sein und alle werden gut sein, und aller Art Dinge wird gut sein.“ Sie war keine naive Optimistin, verschloss vor Elend und Leid nicht die Augen. Sie erkrankte selbst an der Pest, starb fast. Und dennoch durchzieht der Gedanke des "enjoien" wie ein Leitmotiv ihr Werk "Die Offenbarungen der göttlichen Liebe" („Revelations of Divine Love“), dass sie nach 15 Visionen niedergeschrieben hat.

„Juliana von Norwich hat diese Erfahrungen gemacht in der Endphase ihres Lebens. Sie hat dann natürlich weitergelebt, sonst hätten wir diese Aufzeichnungen und später die Meditationen nicht. Sie hat erfahren, dass Gott Liebe ist. Und das erfährt sie in dieser äußersten Not des Sterbenmüssens - dass Jesus Christus wirklich derjenige ist und sich ihr so zeigt mit dem berührenden Bild, das sie dann gebraucht, dass er zart und bergend sei, wie eine Mutter zu ihrem Kind“, sagt Marianna Schlosser.
Julianas Werk aus dem 14. Jahrhundert ist erhalten geblieben und dient Menschen bis heute als Quelle der Inspiration. Von ihr persönlich hingegen ist wenig bekannt. Nichts über ihre Familie; ja eigentlich nicht einmal ihr Name. Gerade in heutigen Zeiten klingt ihr Satz aus den Tagen der Pest bis heute nach: "All shall be well!"

Christliche Mystik hatte und hat also viele und sehr unterschiedliche Formen. Der Jesuitenpater Karl Rahner gilt als einer der bedeutendsten römisch-katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Auch er stellte die Gotteserfahrung ins Zentrum und sagte: „Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“

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