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Unwort Medienkompetenz
Gegen jedes Übel im Internet soll sie helfen, die häufig zitierte und vielfach eingeforderte Medienkompetenz. Sie soll den Umgang mit neuen Technologien und digitalen Geräten erleichtern, beim Diskutieren auf Sozialen Medien unterstützen, dabei helfen, nicht auf Internet-Betrug hereinzufallen und natürlich beim Unterscheiden von Fakten, Meinungen, Verschwörungserzählungen und Desinformationen.
12. April 2021, 02:00
Instagram, TikTok, YouTube - das sind die Medien der Jugendlichen, dort holen sie sich ihre Nachrichten. Wie diese Plattformen funktionieren, welche Nachrichten und Postings sie dort warum sehen und warum man YouTube zum Beispiel gratis nutzen kann, dieses Wissen holen sie sich selbst, erzählen Svenja, 19 Jahre und Fabian, 20 Jahre: „Großteils bekommt man die neuen Dienste über Freundinnen und Freunde mit, meine Mama hat mir damals YouTube erklärt. Aber in der Schule haben wir nichts über Soziale Medien gelernt.“

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„In der Schule müsste man deutlich erklären: Warum ist TikTok kostenfrei, wer moderiert die Inhalte auf der Plattform, was ist Zensur, was ist keine Zensur."
Medien und insbesondere digitale Medien müssten im Schulunterricht ein größeres Thema sein, sagt Dirk von Gehlen, Autor und Journalist bei der Süddeutschen Zeitung: „In der Schule müsste man deutlich erklären: Warum ist TikTok kostenfrei, wer moderiert die Inhalte auf der Plattform, was ist Zensur, was ist keine Zensur. Das kann für Lehrerinnen natürlich schwer sein, das zu erklären und für Schülerinnen auch. Aber es wäre wichtig, zu wissen, wie die Geschäftsmodelle von Facebook, Instagram und TikTok funktionieren und welches Geschäftsmodell etwa hinter Öffentlich-Rechtlichem Rundfunk steht und warum Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk für eine funktionierende, freie und nicht nur konsumorientierte Gesellschaft wichtig ist.“
Auch Thomas Feibel, Autor und Leiter des Kindermedienbüros in Berlin, kritisiert: Alles, was Kinder an neuen Technologien ausprobieren, hätten sie sich selbst beigebracht: „In der Schule passiert zu wenig. Digitale Projekte, der Medienführerschein oder Medienbildung passieren eher willkürlich. Und gleichzeitig macht man die Kinder dafür verantwortlich, wenn sie den ganzen Tag auf TikTok sind und nicht wissen, was mit ihren Daten passiert.“ Aber das treffe auch auf viele Erwachsene zu, meint Feibel. Man könne von Kindern auch nicht mehr fordern, als man selbst zustande bringt. Wenn man möchte, dass Kinder verantwortungsvoll mit neuen Technologien und digitalen Diensten umgehen, müssten das auch die Erwachsenen vorleben.
Lesefähigkeit statt Medienkompetenz
Mit dem Begriff „Medienkompetenz“ ist Autor Thomas Feibel ohnehin nicht besonders glücklich ist, er spricht lieber von Lesefähigkeit, die man ja auch für Bücher braucht: „Einen Roman lesen wir auch anders als ein Lexikon, das haben wir irgendwann gelernt.“ Beim Internet sind viele Erwachsene aber mit ihrer Lesefähigkeit am Ende, glaubt Feibel: „Im Internet müssen wir uns vor allem fragen: stimmt das, was ich da lese? Ist das ein redaktioneller Artikel oder eine bezahlte Werbung, die sich als Artikel tarnt?Schreibt hier ein Blogger, der für das Produkt wirbt, weil er davon überzeugt ist oder weil er das Produkt gratis bekommen hat?“ Diese Lesefähigkeit brauche man für viele unterschiedliche Ebenen und Aspekte im Netz, auch für Soziale Medien wie Facebook, WhatsApp und Instagram.
Desinformation und Streitkompetenz
Laut einer US-Studie zu Desinformation teilen vorallem über 65 Jährige am häufigsten Falschnachrichten. Fabian, Svenja und Nicole haben sich mit Fake News in der Schule auseinandergesetzt: „Wir sind da schon etwas erfahrener als die Erwachsenen, wir sind mit dem Netz aufgewachsen und erkennen Fakes oder Fallen oder wenn ein Artikel einfach merkwürdig wirkt. Viele Freunde meiner Eltern teilen auf Facebook oft dubiose Links, die sie nicht überprüft haben, die nicht stimmen. Es wäre schon schön, wenn sich die Älteren auch damit auseinandersetzen würden, auch um zum Beispiel 12 Jährige aufklären zu können, bevor die in eine Falle tappen.“
Autor Dirk von Gehlen teilt das Buzzword Medienkompetenz in drei Ebenen ein: In Demokratiekompetenz, Streitkompetenz und Anwendungskompetenz. Demokratiekompetenz bedeutet für ihn, zu akzeptieren, dass es Menschen mit anderer Meinung gibt. Streitkompetenz müssten viele von uns erst erwerben, wir sind schlechte Streiter und können nicht besonders gut Meinungen austauschen, meint von Gehlen. Auch Fernseh-Diskussionssendungen, bei denen Experten pro und contra kämpfen, seien keine guten Vorbilder. Diese bezeichnet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen als "Spektakel-Polarisierer".
"Für Erwachsene gibt es keine Orte, wo es einen Erste Hilfe-Kurs für das Internet gibt, in dem ich mich schulen könnte."
Diese Demokratie - und Streitkompetenz müssten wir dann anwenden, wenn wir mit klassischen und digitalen Medien umgehen, das wird in Schulen aber nicht unterrichtet, kritisiert von Gehlen. „Junge Menschen müssen den Umgang mit YouTube, Instagram und Twitter und der dortigen Desinformation oder Inhalte-Moderation nebenbei lernen. Oft lernen sie es in der Schule. Aber für Erwachsene gibt es keine Orte, wo es einen Erste Hilfe-Kurs für das Internet gibt, in dem ich mich schulen könnte. Das wäre aber bedeutsam, weil sich gerade so viel verändert.“ An der Veränderung aktiv beteiligen müssten sich vor allem auch jene Erwachsenen und Seniorinnen, die nicht mit digitalen Medien aufgewachsen sind.
Thomas Feibel kann sich vorstellen, dass neben Schulen und Eltern auch die öffentlichen Bibliotheken eine wichtige Rolle einnehmen könnten. Bibliotheken sind oft mit Wlan, Tablets und 3D-Druckern ausgestattet und Jugendliche könnten dort Geräte ausprobieren und Experimente durchführen. Feibel wünscht sich ein Triumvirat aus Eltern, Lehrerinnen und Bibliotheken, die gemeinsam ein Medienkonzept für alle zu erarbeiten.
An der Schule von Nicole, Fabian und Svenja unterstützen die Schülerinnen übrigens ihre Lehrer bei den ersten Postings auf Instagram. Für den Schul-Account sind Lehrerinnen, Lehrer und auch einige Jugendliche freigeschaltet.
Gestaltung: Julia Gindl