Gezeichnter Fisch, Ausschnitt Buchumschlags

HANSER BERLIN

Essays des Lyrikers Jan Wagner

"Der glückliche Augenblick"

Die Lyrik erlebt einen Aufschwung, in den USA hat sich die Zahl der jungen Lyrikleser in den letzten Jahren sogar verdoppelt. Im deutschsprachigen Raum hat nicht zuletzt Jan Wagner für diesen Höhenflug gesorgt.

2015 erhielt sein Buch "Regentonnenvariationen" als erster Lyrikband überhaupt den Preis der Leipziger Buchmesse, 2017 wurde Wagner zudem noch mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Gerade ist sein neuer Essayband "Der glückliche Augenblick" erschienen, in dem Jan Wagner über extravagante Dichter und die magischen Momente des Dichtens nachdenkt.

Georg Büchner hat bei der Arbeit am "Lenz" bestialisch nach Fisch gestunken, weil er daneben für seine Dissertation über die Nervenfasern von Fischen Flussbarben und Hechte sezierte, und der walisische Dichter Dylan Thomas hat sich aus seiner Abneigung gegen Intellektuellentreffen heraus einmal betrunken im Schrank seines Hotelzimmers versteckt.

… ein Sprachberauscher, der immer weniger an Sprache zu fassen kriegt

Das Desaster mit der Aster

Wenn Jan Wagner über Dichter schreibt, dann tritt deren Leben plastisch vor Augen, er gräbt sich damit aber auch beharrlich an die Entstehungsgeschichten ihrer Gedichte heran. Bei Dylan Thomas etwa, erzählt Wagner, wechselten sich Rausch und Sprachrausch ab: "Er beschreibt, wie er gar nicht genug haben kann an Sprache, an Wörtern, und jeden Tag schreibt und schreibt und schreibt. Er wurde jedoch, im Laufe seines Lebens, und das ist auch die Tragödie, immer langsamer. Also ein Sprachberauscher, der immer weniger an Sprache zu fassen kriegt, so dass er zum Schluss oft wochenlang an einer einzigen Zeile saß."

Die Dichter der Vergangenheit, traditionelle Formen wie Sonett oder Sestine, hat Jan Wagner beim Schreiben stets im Hinterkopf. Um zu den wahrhaft glücklichen Augenblicken zu kommen, brauche es aber, sagt er, das Spielerische: "Das Nachdenken über die Wörter, darüber, was in ihnen auch steckt an Etymologie und Geschichte, über den Klang, warum steckt die 'Aster' im Wort 'Desaster'? All dieses Nachdenken darüber, was in den Worten steckt und in sie hineingelegt wurde, ist ein Teil des Schreibens von Gedichten und das findet eigentlich immer statt."

Mit Irrwitz gegen die Krise

Wagners Schreiben geht mit zahlreichen Auslandsaufenthalten einher. In seinem Prosaband finden sich ein "Vietnamesisches Reisetagebuch", oder fünf Mondpostkarten aus Iran, betitelt "Rosenknospen und Kamelknochen". Die derzeitige Situation zwingt Wagner zum Rückzug. Was aber bedeutet die Covid-Krise für die Lyrik?

Krisenzeiten sind Einladungen die Welt anders zu denken

Cover

HANSER BERLIN

"Krisenzeiten sind eben Einladungen", sagt Jan Wagner, "die Welt anders zu denken, Alternativen zu suchen, auch einfach den blanken Irrwitz in der Sprache zu suchen als Erleichterung und als Gegengewicht zu dem, was dort draußen an Bedrückendem geschieht."

Die Macht der lyrischen Stimme

Die jüngsten Texte sind die vier Bamberger Poetikvorträge, die Jan Wagner im vergangenen Dezember und Jänner gehalten hat. Einen hat er der dänischen Dichterin Inger Christensen gewidmet und darin berichtet er, "wie sie beim Berliner Poesiefestival am lärmigen Potsdamer Platz ganz ruhig und trotzdem beeindruckend auf der Bühne ihr herrliches Langgedicht 'Alphabet' las, und eine Gruppe von Berliner Schultheiß-Trinkern, die anfangs noch grölend irgendwo im Hintergrund saß, plötzlich, einfach durch ihren Vortrag, immer stiller werden ließ, bis am Schluss der ganze Platz gebannt war von dänischer Weltpoesie."

Gebannt ist man auch, wie Jan Wagner in seinem Prosaband "Der glückliche Augenblick" die Lyrikerinnen und Lyriker aus dem Elfenbeinturm und die Lyrik selbst aus dunklen Schreibstuben heraus und auf helle Spielwiesen holt, wo sie genauso entsteht und vielleicht viel mehr zu Hause ist.

Service

Jan Wagner, "Der glückliche Augenblick", Essays, Hanser
Jan Wagner

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

Übersicht