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MICHAEL SCHUNK

Radiokolleg

Kinderlieder einst und jetzt

Musik für Kinder, die auch für erwachsene Ohren erträglich ist.

Das bisher am häufigsten angeklickte Youtube-Video ist ein Kinderlied: "Baby Shark". Mehr als acht Milliarden mal haben sich Menschen diesen Clip angesehen, in dem südkoreanische Kids in einer Zeichentrickanimation zu einem althergebrachten amerikanischen Kinderlied tanzen.

Dieser monoton klingende, aber äußerst eingängige Ohrwurm hat mittlerweile unzählige Cover-Versionen in verschiedensten Sprachen. Medienberichten zufolge sollen Gefängniswärter im US-Bundesstaat Oklahoma Insassen gefoltert haben, indem sie ihnen "Baby Shark" in Dauerschleife vorgespielten.

Muss Kindermusik schrecklich klingen?

Wenn von "Kindermusik" die Rede ist, ergreifen Erwachsene oft die Flucht. Doch das muss gar nicht so sein. Längst gibt es eine große Bandbreite an Musikern und Musikerinnen die kindgerechte Texte in hörbare Pop-, Rock-, Hip Hop und Reggae-Arrangements verpacken. Der österreichische Musiker Klaus Trabitsch etwa brachte vor mittlerweile 15 Jahren die CD "Bi Ba Butzemann" heraus. Klassische Kinderlieder interpretiert von Größen der österreichischen Musikszene.

Ein gutes Kinderlied funktioniert wie ein guter Popsong.

Wenn man schon bei den ersten Takten eines Liedes höre, dass es sich um Kindermusik handle, dann sei das Lied nicht sehr gelungen, meint die Kinderliedermacherin Suli Puschban. Der Unterschied zwischen Musik für Kinder und für Erwachsene bestehe in erster Linie in den Textinhalten und weniger in der Musik selbst. Auch der Musiker und Schauspieler Sebastian Radon betont: "Ein gutes Kinderlied funktioniert wir ein guter Popsong." Es müsse ins Ohr gehen und leicht nachsingbar sein.

Lernen durch Singen

Frühes Singen und Musizieren fördert die kognitive, psychische und soziale Entwicklung von Kindern, wie zahlreiche Studien belegen. Insbesondere der Spracherwerb wird durch Lieder gefördert. Bereits Babys im Alter von sechs Monaten spüren Rhythmus und können im Takt mitwippen.

Dennoch warnt die Musikpädagogin Ruth Schneidewind von der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst davor, Kinder zu früh in einen formalen Musikunterricht zu schicken: "Die Freude an der Musik kann verloren gehen, wenn man dazu gezwungen wird."

Die Erfindung des Kinderliedes

Viele Jahrhunderte lang wurden Kinder als kleine Erwachsene gesehen. Es gab weder spezielle Kleidung noch spezielle Musik für sie. Das änderte sich ab dem 18. Jahrhundert mit dem Zeitalter der Aufklärung. Plötzlich wurde den menschlichen Entwicklungsstadien "Kindheit" und "Jugend" große Bedeutung beigemessen. Pädagogische Konzepte wurden entwickelt, um Kinder zu wertvollen und nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen. Es entstanden eigene Möbel, Spielsachen, Geschichten und Lieder für Kinder.

Viele von diesen Kinderliedern hatten erzieherische oder bildende Funktionen: Sie sollten den jungen Menschen etwas über die Natur, den Lauf der Jahreszeiten und über die Berufe der Erwachsenen vermitteln. Mädchen sollten zur Reinlichkeit und Tugendhaftigkeit erzogen werden. Jünglinge auf ihre Rolle als künftige Staatsbürger vorbereitet werden.

Ein Großteil der traditionellen, bis heute gesungenen, deutschsprachigen Kinderlieder stammt aus dem 19. Jahrhundert. Allein der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1790-1874) schrieb an die 500 Kinderlied-Texte. Darunter Evergreens wie "Ein Männlein steht im Walde", "Der Kuckuck und der Esel" und "Summ, summ, summ".

Prinzessinnen haben die Schnauze voll

Kinderlieder sind auch ein Spiegel der Gesellschaft in der sie entstanden sind. Und da hat sich vieles geändert im Laufe der Zeit, beispielsweise bei den Geschlechterrollen in Liedern. Der deutsche Kinderliedermacher Fredrik Vahle erzählte schon in den 1970er Jahren von "Anne Kaffeekanne", einem abenteuerlustigen Mädchen, dass sich nichts vorschreiben lässt und auf ihrem Besenstiel durch die Welt fliegt. Etwa zur gleichen Zeit sang das Berliner GRIPS-Theater "Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind, der spinnt, der spinnt, der spinnt".

Heute schreiben Musikerinnen wie Suli Puschban und die Rapperin Sukini Songs für Mädchen, in denen Prinzessinnen sich gar nicht "ladylike" benehmen und sie erzählen Geschichten von Kindern, die zwei Mamas oder zwei Papas haben. Viele Lieder sind in den vergangenen Jahren entstanden, die sich kritisch mit den Rollenklischees für Mädchen auseinandersetzen. Das vergleichbare Angebot für Buben ist bescheiden.

Kinderdisco für die ganze Familie

Mittlerweile füllen Kindermusik-Stars wie die Hip Hop Band "Deine Freunde" riesige Konzerthallen. Zu ihrer Musik tanzen Kinder und Jugendliche, ebenso wie Mamas und Papas. Ihre Texte ermuntern Kinder nicht immer nur zum "Bravsein". Rein vom Musikalischen her unterscheidet sich Kindermusik heutzutage nur geringfügig von der Musik für Erwachsene.

Dennoch sei es wichtig, dass Kinder Musik mit altersgerechten Texten hören dürfen, die extra für sie geschrieben wurde, betont die Musikerin Suli Puschban, Vorsitzende des deutschen Netzwerks Kindermusik.de. Denn die Pubertät ziehe die Jugendlichen früh genug auf "die dunkle Seite der Macht" in Richtung Deutsch-Rap und der dazugehörigen Macho-Kultur.

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Fredrik Vahle

Buchtipp:
Christa Holtei, Tilman Michalski: "Warum klappert die Mühle am rauschenden Bach? Kinderlieder und ihre Geschichte", Sauerländer

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