Gleb Amankulov. "no 2" - Bürotisch mit Rollen, Lich im Inneren

JULIANA LINDENHOFER

Mutige Stimmen aus Belarus

Secret Museum im Hoast

Eine Ausstellung in Wien thematisiert die im August 2020 erwachte Demokratiebewegung in der Republik Belarus - aus dem Blickwinkel der streikenden Arbeiter. Ort der Ausstellung ist der Off-Space Hoast im Karmeliterviertel; kuratiert wurde sie von einem in Wien lebenden, weißrussischen Kunsttheoretiker. Eine heikle Balance zwischen Depression und Begeisterung, Agitation und Erschöpfung, macht er bei den regimekritischen Kulturschaffenden aus.

Nach der Wahl im August 2020 kam es in Weißrussland zu einer Protestwelle gegen den seit 1994 autoritär regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko: Er hatte sich zum Sieger der Wahl erklärt, während die Opposition ihm Wahlbetrug und -fälschung vorwarf. Zuletzt ist es in den Medien still geworden um die Demokratiebewegung in Weißrussland; der Langzeit-Präsident Alexander Lukaschenko scheint den Kampf fürs Erste gewonnen zu haben.

Die Bevölkerung ist wütend und kurz davor, wieder auf die Straße zu gehen

Dennoch: Der junge Kurator und Kunstkritiker Aleksei Borisionok glaubt an die derzeit schlummernde Schlagkraft der Protestbewegung, die seit August 2020 aufgebaut worden ist: "Jetzt gerade ist ein entscheidender Moment; denn nach der Winterpause und einem gewissen Nachklang der Ereignisse bereiten sich die Leute vor, die Proteste wieder auf die Straßen zu tragen. Das Ausmaß der Unterdrückung ist wahnwitzig - viele Studenten, Arbeiterinnen, Journalisten, Ärztinnen und Künstler sind im Gefängnis, mit Haftstrafen bis zu zehn Jahren und mehr. Die Bevölkerung ist sehr wütend und steht kurz davor, wieder auf die Straße zu gehen." Um den 25. März, dem Tag der Freiheit, wird es wahrscheinlich wieder losgehen, meint Aleksei Borisionok, angesichts zu erwartender Demonstrationen.

  • Schulheft mit einem Slogan der Proteste neben Schwarz-Weiß-Zeichnung einer Fabrik

    Marina Naprushkina zeigt Schulhefte, in die Slogans der Proteste eingetragen sind

    WOLFGANG OBERMAIR

  • Valentin Duduk hat zur Ausstellung eine Pickerl-Serie beigetragen - in Anspielung auf das visuelle Material, wie Plakate, Transparente und Bilder, das im öffentlichen Raum in Minsk affichiert ist

    WOLFGANG OBERMAIR

  • Textcollage

    Textcollage der in Wien studierenden Künstlerin Olia Sosnovskaya

    WOLFGANG OBERMAIR

|

Aufstand der Kreativen

In der Protestbewegung haben die Künstler und Künstlerinnen des Landes, auch die Amateure, also alle Kreativen, eine gewichtige Rolle gespielt, meint Borisionok. Sie hätten neue Formen des Ausdrucks entwickelt, der Solidarität und dem Protest Gestalt verliehen, visuell und akustisch: "Eine der ersten, sehr starken Gesten war, als die Sänger der Staatlichen Philharmonie - von denen das wirklich niemand erwartet hätte - sich vor ihrem Haus aufstellten und zu singen begannen …

'Wie sollen wir singen, wenn unsere Stimmen gestohlen wurden' …

- ein sehr starker Auftritt." Es sind Gedichte, Lieder, Bilder, Graffitis und Plakate entstanden. Künstlerinnen hätten die vielen Stimmen verstärkt, sagt er, auch außerhalb des Landes.

Ein Zeichen der Solidarität

Als solche, die mutigen Stimmen aus Belarus verstärkende Ausstellung im Ausland ist auch die kleine, aber kräftige Schau im Projektraum hoast in Wien-Leopoldstadt zu betrachten. Dieser Offspace wird betrieben von den Künstlern Wolfgang Obermair und Ekaterina Shapiro-Obermair: "Wir wollten mit der Ausstellung auch Solidarität mit denjenigen zum Ausdruck bringen, die Mut haben auf die Straße zu gehen, zu protestieren. Man spricht so abstrakt von einer Demokratiebewegung - ja, aber da sind konkrete Menschen dahinter. Belarus ist wirklich nicht weit, und es finden Sachen statt, die ganz unvorstellbar sind und gar nicht stattfinden dürfen in dieser Form."

WOLFGANG OBERMAIR

Gleb Amankulovs Skulpturen sind aus ausrangierten Aktenbehältern konstruiert

Die Ausstellung heißt "A Secret Museum of Workers' Movement", ein geheimes Museum der Arbeiterbewegung. Ein solches Museum, das in Minsk real existiert, wollte Aleksei Borisionok besuchen - der Eintritt blieb ihm jedoch mit fantastisch-bürokratischen Ausreden verwehrt. Was die Fantasie erst recht beflügelte. Welche Geschichte wird darin erzählt? Wie wird die Arbeiterbewegung dargestellt?

Die Rolle der Gewerkschaften

Die Republik Belarus wurde 1991 ausgerufen - das Land hat seither eine eigenwillige Geschichte der Privatisierung erfahren. Die Gewerkschaften unterliegen einer staatlichen Organisation, die eben jenes geschlossene Museum betreibt. Diese große und mächtige Dachorganisation habe aber - so Borisionok - die Rechte der Arbeiter systematisch abgebaut, die Menschen zu Produktionsmaschinen degradiert und die Arbeiterbewegung zum Erliegen gebracht. Die Gewerkschaften dienen Lukaschenko zur Kontrolle der politischen Handlungsfähigkeit der Arbeiter, sagt der Kurator.

Es gibt jedoch auch unabhängige Gewerkschaften, die eher wie NGOs agieren und die für die Organisation der Proteste, besonders der Streiks, mitverantwortlich sind. Die Streiks hätten eine gewichtige Rolle in der Demokratiebewegung, sagt Aleksei Borisionok: "Ein sehr schöner Moment war, als Lukaschenko Ende August eine Fabrik besuchte, in der Annahme er würde Unterstützung erfahren. Stattdessen schrien die Arbeiter ihn an: verschwinde!"

Ihr streikt, wir arbeiten

Die Ausstellung versteht sich dezidiert als Solidaritätsbekundung mit der Protestbewegung und insbesondere mit den streikenden Menschen - diese hätten Bilder davon in ihren Netzwerken geteilt und sich über diese Geste aus Wien gefreut, erzählt Borisionok. Denn es sei ihnen wichtig, auch im Ausland gehört zu werden: "Es gab eine Kampagne mit dem Titel: 'Ihr streikt, wir arbeiten'. Viele Weißrussen im Ausland spendeten ihre Monatsgehälter an Streikende. Denn: offiziell ist es so gut wie unmöglich, zu streiken; die Gesetzeslage ist so kompliziert, dass es sinnlos ist, offiziell einen Streik anzumelden. Freilich gibt es keine finanziellen Rücklagen für Arbeitsniederlegungen. Also, ja: Die Solidarität der im Ausland lebenden Weißrussen ist immens."

Streikende Arbeiter, leere Fabrikshallen

Mit Formen von Streik und unbezahlter Arbeit befasst sich eine Textcollage der in Wien studierenden Künstlerin Olia Sosnovskaya: Sie stellt die Niederlegung der Arbeit etwa in Bezug zur unbezahlten Arbeit, die Frauen im Alltag leisten. Was wäre, wenn gestreikt wird, und niemand bemerkt es? Der in Belarus lebende Künstler Uladzimir Hramovich fertigt Lithografien von sozialistischen Monumenten, die aus dem öffentlichen Raum entfernt worden sind. Valentin Duduk hat zur Ausstellung eine Pickerl-Serie beigetragen - in Anspielung auf das visuelle Material, wie Plakate, Transparente und Bilder, das im öffentlichen Raum in Minsk affichiert ist. Und Marina Naprushkina zeigt Schulhefte, in die Slogans der Proteste eingetragen sind, etwa "Solidarität ist unsere Waffe!" oder "Schließt Euch dem Streik an!" - neben Schwarzweiß-Bildern von leeren Fabrikshallen aus der Sowjetzeit.

Die Betreiberinnen des Projektraums hoast haben außerdem in Wien lebende Künstlerinnen und Künstler um Werke gebeten, die verkauft werden können - der Erlös geht zur Gänze an Organisationen, die politische Gefangene in Belarus und Russland unterstützen.

"A Secret Museum of Workers Movement" ist eine Ausstellung, die mit bescheidenen Mitteln eine erstaunliche Aussagekraft entfaltet und aufzeigt, welche Funktion die Kunst in einem zivilgesellschaftlichen Prozess innehaben kann.

Service

Zu sehen ist die Ausstellung noch bis Samstag, 20.3.2021, im hoast, Große Sperlgasse 25, 1020 Wien.

Gestaltung

  • Anna Soucek