Alvin Lucier

ORF/MUSIKPROTOKOLL/MARTIN GROSS

90. Geburtstag

Musikrevolutionär Alvin Lucier

Anlässlich des 90. Geburtstag von Alvin Lucier erinnert sich Christian Scheib an den bisher letzten Besuch des Komponisten in Österreich.

Freitag, 7. Oktober 2016, 10.00 Uhr vormittags, die Aula der Kunstuniversität Graz füllt sich mit an der bevorstehenden Lecture von Alvin Lucier Interessierten. Viele Studierende der Kunstuniversität kommen, aber auch einige anerkannte Komponisten wie Gerd Kühr und Klaus Lang sind unter den Zuhörenden. Der Bratschist Dimitri Polisoidis, der im Rahmen der sogenannten "Klangforum-Professur" an der KUG, der Kunstuniversität Graz unterrichtet, bringt gleich all seine Studierenden mit. Und auch junge Künstlerinnen und Künstler, die im Rahmen des Austauschprogramms "Shape" des ICAS-Netzwerkes zu diesem musikprotokoll gekommen sind, finden sich unter den Zuhörenden.

Bach tut allen gut

Und für die jungen Künstler hat Alvin Lucier auch gleich einen etwas erstaunlichen Rat: "You don’t have to study too much", sagt Alvin Lucier, eigentlich nur "one or two things that really are important, Bach exercises in counterpoint for example", Kontrapunktstudien an Hand der Musik von Johann Sebastian Bach würden jedem experimentellen Künstler gut anstehen. Und außerdem, fügt er hinzu, man möge gewarnt sein, seine Lectures seien nie theoretische Abhandlungen oder umständliche Analysen, sondern einfach "stories".

Er rede nur über das, was er auch wirklich selbst erlebt habe. Das tat er dann auch in Graz. 85 Jahre war Lucier damals alt und als Gratulation zu seinem 90. Geburtstag erinnern wir an diesen bisher letzten Besuch von Alvin Lucier in Österreich.

Hinterfragen, bis Musik entsteht

Com-ponere: Die Übertragung dieses lateinischen Begriffes wurde in Europa zum Wort für den Beruf der Tonsetzer. Das Zusammen-Setzen mehr oder weniger vorgegebener Bausteine - von Tönen, Klangfarben, Rhythmen - ist der Beruf der Komponisten. So betrachtet ist Alvin Lucier kein Komponist. Bauklötze zusammenzusetzen ist nämlich seine Sache nicht. Ganz im Gegenteil. Seine Sache ist es, die Bauklötze so lange zu hinterfragen, bis daraus Musik entsteht.

Dann erzeugen Hirnwellen Perkussionsmusik und Drähte selbsttätig ein Endlossummen, Schallwellen beginnen miteinander zu spielen, Luciers Stimme durchmisst Räume und löst en passant dabei auch noch Sprache auf. All das passiert in ikonischen Werken wie "Music On A Long Thin Wire", "Music For Solo Performer", "I Am Sitting In A Room" und "Navigations For Strings" oder den "One-Arm Bandits", uraufgeführt in Graz 2016.

Mikroskopisches Schallwellentheater

Für das musikprotokoll 2016 machte sich Alvin Lucier also noch einmal auf eine neue Reise und in dieser Sendung wird er davon erzählen. Die ersten Gespräche darüber fanden gemeinsam mit dem Cellisten Charles Curtis und Alvin Lucier statt. Und die Gespräche waren - für jemanden, der Alvin Luciers Werk kennt - eigentlich recht erstaunlich. Lucier und Curtis würden damit experimentieren, was die Bogenhand des Cellisten so tue, erzählten sie.

Nun war die körperliche Gestik der Musiker in den vergangenen Jahrzehnten noch nie von besonderem Interesse in Luciers Werken. Ganz im Gegenteil: Seine Musik ist eher mikroskopisches Schallwellentheater, denn real physische Körperperformance. Irgendwann verriet Alvin Lucier den Titel des kommenden Stücks: "One-Arm Bandits".

Und er verriet auch, dass die zu einarmigen Banditen gemachten vier Cellisten tatsächlich nur mit jeweils einem Arm, mit der Bogenhand, spielen werden. Auf leeren Saiten. Und auf der Suche nach minimalen Tonhöhenveränderungen durch spieltechnische Variationen von Anpressdruck oder Bogengeschwindigkeit. Also doch: Das total reduzierte, mikroskopische Schallwellentheater.

Wahrnehmung der Wahrnehmung

Es gibt einerseits die erwähnten klanglichen Phänomene, die charakteristisch sind für Alvin Luciers Stücke und Performances; versucht man andererseits nun, die dazugehörigen Ideen zu beschreiben, landet man immer wieder bei der "Wahrnehmung der Wahrnehmung", dass also, wie in manchen bildnerischen Arbeiten seiner Freunde Sol Lewitt, Robert Irwin oder Walter de Maria, dass also die Kunst darin liegt, dass der Zuhörer sich selbst beim Zuhören beobachtet und daran Vergnügen oder Interesse findet.

Oft geht das Hand in Hand mit einer Art heimlichen, oder subtilen Theatralik der inszenierten Klänge oder Klangausbreitung; und immer geht es einher damit, dass Alvin Lucier weniger gern selbst arbeitet, als dass er die Klänge arbeiten lässt. Schallwellen bringen einander gegenseitig zum Klingen, Schallwellen müssen sich von Wänden zurückwerfen lassen, Gegenstände und Dinge scheinen sich selbst in Schwingung zu versetzen. Das ist sogar eine der innersten Schichten seiner Ästhetik: Die Natur dazu zu bringen, sich selbst zu decouvrieren, aus sich selbst ein wenn auch minimales Spektakel zu machen.

"Keine Ideen, außer in Dingen"

Der amerikanische Dichter William Carlos Williams postuliert in einem seiner Gedichte: "Keine Ideen, außer in Dingen". Und, so sagt Alvin Lucier, je älter ich werde, desto mehr bemerke ich, dass das genau meiner Art zu arbeiten entspricht. Ich denke nicht vorher über ein System nach und ich muss nicht die Spannungen und Gewichte kontrollieren oder ausrechnen. Ich mache was und schaue, was passiert, und ich akzeptiere es dann oder nicht. No ideas but in things.

Gestaltung

  • Christian Scheib