Eine Statue aus der Kolonialzeit in Afrika.

AFP/JEKESAI NJIKIZANA

Dimensionen

Ethnologie hören

Während der Kolonialzeit sammelten Forschungsreisende und Missionare kulturelle Objekte der einheimischen Bevölkerung, machten Fotos und auch Sprachaufnahmen. Diese Aufnahmen verraten viel mehr als das, wozu sie angefertigt wurden. Sie dokumentieren die damalige Vorgehensweise der Ethnologie.

Der österreichische Ethnologe Rudolf Pöch wurde wurde 1870 in Galizien geboren und gilt als Pionier der audiovisuellen Feldforschung. Er filmte, fotografierte und machte Sprachaufnahmen mit den Menschen, die er als ’Buschmänner‘ bezeichnete. Auch Musik und Gesang interessierte ihn. Sein Schwerpunkt als Rassenkundler und Ethnologe ist die physische Anthropologie. Aus dem Vermessen von Schädeln, Gebeinen und Unterkiefern bezieht er pseudowissenschaftliche Erkenntnisse über angebliche menschliche Rassen.

Gegen den Willen der Einwohner und mit Gewalt

1907 bis 1909 ist er auf Kalahari-Expedition im südlichen Afrika, wo er die Kultur der dort lebenden Menschen erforscht und dokumentiert. Er bringt mehr als tausend Objekte, aber auch menschliche Überreste und sogar zwei konservierte Leichen von dieser Reise mit, die heute auf verschiedene Museen und Archive in Wien verteilt sind.

Im Jahr 2000 können die beiden südafrikanischen Historiker Martin Legassick und Ciraj Rassool beweisen, dass Pöch damals Tote illegal ausgegraben und Knochen und Schädel von über 150 Leichen nach Wien gebracht hat. Proteste der Angehörigen unterdrückte er mit Gewalt. Zwei Leichname wurden 2012 von der Republik Österreich nach Südafrika zurückgebracht, es gab eine öffentliche Entschuldigung. Die anderen menschlichen Überreste befinden sich noch immer an der Universität Wien.

Objekte, Knochen, Aufnahmen - alles wird gesammelt

Seine Tonaufnahmen machte der Ethnologe Rudolf Pöch mit einem Phonographen, der auf Wachswalzen bzw. Wachsplatten den Ton aufzeichnete. Die Abspieldauer war auf ein bis zwei Minuten beschränkt.

„Pöch hat sehr wohl lange Texte sprechen lassen, was er nicht bedacht hat weil er es nicht verstanden hat und auch gar nicht verstehen konnte ist dass die Leute die Gelegenheit am Schopf gepackt haben und auch Dinge darauf gesprochen haben die ihn kritisieren, und er hat das aber nicht einmal mitbekommen“, sagt Clemens Gütl vom Wiener Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Rudolf Pöch war ein Jäger und Sammler. Die Ethnologen der damaligen Zeit haben Objekte gesammelt, Leichen ausgegraben, Knochen mitgenommen und Aufnahmen gemacht. Sie dachten alles erfassen und dokumentieren zu können, da die Kultur, das Volk verschwindet und man die Gemeinschaften wenigsten in der Dokumentation erhalten kann.

Falsch übersetzt oder falsch dokumentiert?

Pöch arbeitete mit Übersetzern. Er transkribiert das, was ihm seine afrikanischen Assistenten aus dem Naro übersetzten. Noch heute ist auf den Informationszetteln zu den Aufnahmen im Phonogrammarchiv nur das vermerkt, was Pöch dazu vermerkt hat. Und das war nicht immer das, was gesagt wurde.

So ist zum Beispiel ‚Freies Sprechen‘ als Information zur Aufnahme 771 von seiner Kalahari-Expedition vermerkt. Im Fokus stehen Schnalz-Laute. Als Inhaltsangabe schreibt Pöch, dass Xara der Ältere erzählte, er habe vor kurzem ein Messer als Lohn für seine Arbeiten erhalten. Nun wünsche er sich auch noch ein Feuerzeug. Nach der Sprachaufnahme hätte er das Feuerzeug dann auch bekommen. Die Kulturwissenschaftlerin und Afrikanistin Anette Hoffmann hat diese Aufnahmen Sprachexperten in Botswana vorgespielt und die hörten allerdings etwas anderes.

"Gib mir das Messer! (Wütend). Gib mir das Messer, ich will es in meine Tasche tun. Ich habe es dir geliehen und du hast es mir nie zurückgegeben. Lass mich nicht so viel reden. Gib mir das Messer zurück. Was stimmt mit dir nicht? du hast das Messer lange genug gehabt. Heute wirst du es mir geben. Ich habe dir schon vor langer Zeit gesagt, dass du es mir zurückgeben sollst du hast Ja gesagt und ich habe dich gehört. Du hast letzten Mond ein Messer genommen. Aber du hast es nicht zurückgegeben. Auch wenn du klingst wie ein Löwe, du solltest mir das Messer geben, denn heute wirst du nicht mit meinem Messer schlafen gehen."

Anette Hoffmann ist spezialisiert auf historische Tonaufnahmen, vor allem aus der Kolonialzeit. Sie verfolgt die Spuren der alten Aufnahmen und versucht, mehr über sie herauszufinden. Über die Zeit damals, über die Menschen vor und hinter dem Sprachtrichter. Nur so bekommt sie nach jahrelanger Forschung ein vages Bild über das, was damals wirklich passierte. „Close listening“ nennt sie diese Methode, die auch genaues Hinhören und besondere Sprachkenntnisse erfordert.

Auch die Aufnahme 767 verspricht Überraschungen. Hier spricht sich offensichtlich jemand in Rage – der sich aber sicher zu sein scheint, dass Pöch ihn nicht versteht. Im Protokoll des Ethnologen steht: Zuerst spricht Xhara. Er erwähnt, dass die Buschmänner so viel für mich leisten müssen. Fotografie, Messungen, phonographische Aufnahmen. Und wünscht sich außer dem Tabak eine Zünddose (Feuerzeug) Zu’ma macht eine ähnliche Bemerkung und wünscht sich ein Taschenmesser. Beide Reden wurden ganz frei und ohne vorherige proben oder Besprechungen gehalten. Der alte Xara macht die Schnalze etwas undeutlich und gleichförmig. Und da wird ziemlich klar: die Übersetzung die Job Morris jetzt gemacht hat, die steht mit dem, was da steht im Booklet einfach nicht überein.

Die neue Übersetzung stellt die Situation allerdings etwas anders dar.

"Was ist mit dir, dass du isst und ich nur neben dir gehe? Ich bin genau so ein Mensch wie du, warum tust du das? Warum gibst du mir kein Essen? Würdest du in Zukunft nicht auch noch essen wollen? Sind wir nicht alle die gleichen Menschen? Hey, weißer Mann! Ich bitte dich, zeig ein wenig Reue und gib mir etwas zum Schlecken denn ich bin auch ein Mensch. Behandle mich nicht so, komm näher zu mir. Diese Menschen bringen mich um. Ich hoffe, du bringst mich nicht auch um."

Rudolf Pöch hat seine Aufnahmen höchstwahrscheinlich selbst katalogisiert, nach Stichworten wie zum Beispiel ‚Buschmann spricht Buschmann Sprache‘. Er verlangte meistens, dass man vorher eingeübte Sätze sprechen sollten, damit er Sprachmelodien und Laute identifizieren konnte. Manchmal verlangte er aber auch Freies Sprechen - nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Laute.

Aus der Sicht des europäischen Kolonialsystems

Das Tun von Robert Pöch diente letztendlich den Interessen europäischer Macht- Kolonial und Wirtschaftspolitik. Und das muss man heute kritisch betrachten, wie der Direktor des Weltmuseums Christian Schicklgruber deutlich macht: „Also einerseits im Zusammenhang mit dem Kolonialsystem, auch ist die Art des Sammlungserwerbes kritisch zu betrachten, er schreibt zwar selber, dass ihm Objekte zum Kauf angeboten worden sind – wie es wirklich geschehen ist, lässt sich heute schwer nachvollziehen, weil es die Quellen nicht gibt.“

In einem Raum im Weltmuseum spielen Tonaufnahmen eine große Rolle. Im Saal ‚Kunst Macht Widerstand‘ sind zahlreiche Bildschirme aufgebaut, von denen Aktivisten aus Benin und Äthiopien fordern, gestohlene Kulturgüter zurückzugeben. Eine Diskussion, der sich momentan viele europäische Museen stellen müssen. - Mit den historischen Aufnahmen von Forschern wie Rudolf Pöch arbeitet man bis heute nicht in der Ausstellung. So ein Schritt muss auch gut überlegt sein, erklärt Kerstin Klenke vom Phonogrammarchiv.

Service

Anette Hoffmann, Kolonialgeschichte hören. Das Echo gewaltsamer Wissensproduktion in historischen Tondokumenten aus dem südlichen Afrika. Mandelbaum Verlag, 2020

Die "Lehrmittelsammlung" von Dr. Rudolf Pöch an der Universität Wien. Anthropologie, Forensik und Provenienz von Sophie Schasiepen, Kulturwissenschaftlerin und Expertin für Rudolf Pöch und seine Sammlung.

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