Vitali Alekseenok

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Vitali Alekseenok

"Die weißen Tage von Minsk"

Der belarusische Dirigent Vitali Alekseenok hat sich letztes Jahr den Protesten in seiner Heimat angeschlossen und seine Erlebnisse in einem Buch verarbeitet. Nun liegt es vor.

In Belarus hat es in den letzten Tagen erstmals nach den Wintermonaten wieder Straßenproteste gegeben. In dem autoritär regierten Land war es letzten Sommer zu einer beispiellosen Demokratiebewegung gekommen, nachdem sich Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt hatte. Mitten drin war der junge Dirigent Vitali Alekseenok, der seit 2016 in Deutschland lebt und arbeitet und kurz vor den Wahlen in seine Heimat zurückgekehrt ist.

Demonstration in Berlin

Ein Blick auf das Handy-Display am Abend des 19. Juni hat für Vitali Alekseenok alles verändert. Er war am Münchner Hauptbahnhof gerade aus dem Zug gestiegen, um am Folgetag mit seinem Orchester zu proben, als er über die ersten Massenverhaftungen in Minsk im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen las. "Seitdem habe ich mich nur gefragt, was ich eigentlich tun kann. Die Möglichkeiten haben sich dann in den kommenden Tagen ergeben."

Erstmals nahm Alekseenok Kontakt mit der belarusischen Diaspora in Deutschland auf und organisierte bald darauf seine erste eigene Demonstration in Berlin. Auch in Belarus selbst war die Bevölkerung da bereits aus ihrer Apathie erwacht. Das lag auch an der Corona-Pandemie, deren Gefahr Präsident Alexander Lukaschenko beharrlich herunterspielte. Den Menschen wurde bewusst, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten. Und so erkannte Vitali Alekseenok seine Landsleute kaum wieder, als er fünf Tage vor den Wahlen nach Minsk kam, um seine Stimme abzugeben.

Buchcover: Foto des Autors, Demonstranen mit belarusischer Fahnen

S. Fischer

Auf Gewalt folgt ziviler Ungehorsam

"Die haben ihre Meinungen erstmal so nebenbei gezeigt. Das konnte man an diversen Protestsymbolen sehen: Ich habe selber auch Protest-T-Shirts und weiße Bänder getragen", erzählt der Dirigent. "Es war dieses Gefühl von einer Mehrheit oder zumindest einer sehr großen Anzahl an Menschen, und das ist mit jedem Tag gestiegen."

In dieser Aufbruchstimmung ging die belarusische Bevölkerung in die Wahlen, in der - davon ist auch Vitali Alekseenok überzeugt - eigentlich Lukaschenkos aussichtsreichste Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja die meisten Stimmen erhielt. Für Alekseenok wie für viele andere war die Wahlfälschung evident, am Ende siegte Lukaschenko offiziell mit 80 Prozent der Stimmen. Die Straßenproteste wurden in den drei Tagen nach der Wahl brutal niedergeschlagen. Alekseenok selbst entging einer Verhaftung; die Berichte von systematischen Folterungen und Demütigungen inhaftierter Demonstranten gibt er in seinem Buch "Die weißen Tage von Minsk" detailreich wieder.

Protest durch Musik

Auf die Gewalt antworteten die Menschen mit einer Welle des friedlichen Protests - etwa den inzwischen berühmten Frauendemonstrationen am hellichten Tag. "Das ist in der belarusischen Geschichte etwas ganz Enormes", so Alekseenok. "Bisher waren die Frauen im Schatten der Männer. Und plötzlich haben sie eigentlich die ganze Bevölkerung geführt. Und wir haben gesehen: Mit Friedlichkeit, mit Schönheit, mit Kunst kann man sehr viel erreichen."

Vitali Alekseenok selbst dirigierte mehrere Konzerte mit Musikerinnen und Musikern der Staatlichen Philharmonie vor dem Konzertgebäude oder leitete den Freien Chor, der in Form von Flashmobs überraschend an unterschiedlichen Punkten in Minsk auftrat. "Die weißen Tage von Minsk" hätten auch ihn verändert, sagt der Dirigent. "Das Buch war ja mein erster Versuch, diese Erfahrungen zu vermitteln - ganz klar, direkt und unmittelbar. Aber das möchte ich auch durch die Musik, weil ich es spüre, und weil die Musik bei den Protesten eine große Rolle gespielt hat."

Nachdem die Proteste im Winter abgeebbt sind, gehen seit der Vorwoche die Menschen wieder auf die Straße - es kam zu hunderten Festnahmen. Auch Vitali Alekseenok will, so bald es geht, wieder nach Minsk reisen.

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Vitali Alekseenok, "Die weißen Tage von Minsk - Unser Traum von einem freien Belarus", S. Fischer

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