Buchausschnitt

PIPER VERLAG

Wenig Worte, viel dahinter

"Wetter" von Jenny Offill

Ihr "schlankes" Erzählen ist das Markenzeichen der US-amerikanischen Schriftstellerin Jenny Offill. In ihrem vorigen Roman "Amt für Mutmaßungen" hatte die Brooklyner Ich-Erzählerin mit ihrem neuen Buch, Bettwanzen und Eheproblemen zu kämpfen. Dieser Tag ist nun Offills neuer Roman "Wetter" erschienen und Probleme machen dieses Mal der Klimawandel und der psychisch labile Bruder.

"Ich wollte eine sehr poröse Figur. Wie ein Schwamm sollte sie die Geschichten aufsaugen, die ihr andere erzählten ...", Jenny Offill

Lizzie Benson ist Bibliothekarin, hat einen Sohn, der ihr beim Einschlafen seine glücklichen Gedanken und einen Bruder auf Entzug, der ihr auf Spaziergängen seine quälenden Gedanken erzählt.

Einkauf und Einkehr

Daneben bewegt sich die Aufmerksamkeit dieser Lizzie im schnellen Zickzackkurs durch die Welt, zwischen den Banalitäten des Alltags und metaphysischen Grübeleien steht gerade einmal ein Atemholen.

Die Form, die Jenny Offill gefunden hat, um Schweres und Leichtes gleichwertig nebeneinanderstellen zu können, sagt sie, ist das Erzählen in kurzen, prägnanten Absätzen. Sie gehöre definitiv zu den Schriftstellern, die beim Überarbeiten wegstreichen, sagt Offill, und nicht zu denen die Dinge hinzufügen.

Die Wichtigkeit des Weiß

Die alten Griechen stellten sich den Mond bewohnt vor, erfährt man in einem Absatz, und im nächsten spielt der Sohn Lizzie einen Streich.

Offills Roman "Wetter" lebt von diesen Sprüngen, die aber nicht beliebig sind. Eher lassen die Leerzeilen zwischen den Absätzen nicht unähnlich den weißen Flächen in der fernöstlichen Landschaftsmalerei dem Leser Freiräume für seine eigenen Gedanken.

Buchcover

PIPER VERLAG

"Wetter" von Jenny Offill ist im Piper Verlag erschienen.

Umweltaktivismus im Roman?

Eine frühere Professorin Lizzies ist Umweltaktivistin und stellt sie als Assistentin ein. Offill selbst begann sich wegen einer Freundin für den Klimawandel zu interessieren und begann umfassende Recherchen zu dem Thema. Aber hat so etwas Platz in einem Roman?

"Die Schriftstellerin in mir sagte, auf keinen Fall, doch dann überlegte ich", so Jenny Offill. "Was, wenn der Klimawandel immer wieder nur kurz auftauchen würde, wie es ja auch tatsächlich im Alltag ist, wo man in einem Moment ganz ernsthaft über dessen drohende Folgen nachdenkt und im nächsten sein Kind von der Schule abholt."

Der namenlose Präsident

Den Zeitrahmen des Romans bilden die Monate vor und nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Offill beschreibt die veränderte Stimmung anhand konkreter Ereignisse in Lizzies unmittelbarem Umfeld, dazu zitiert sie ausgewählte Aussagen Trumps.

"Ich wollte, dass jemand, der in vielen Jahren mein Buch liest", so Offill, "seine Persönlichkeit versteht: Dass er ein ehrgeiziger Diktator mit Hang zu faschistischen Ideen war, und dafür musste ich nicht Trumps Namen nennen."

Kalte Drinks und Erderwärmung

Kein einziges Mal fällt der Name Trump, was Jenny Offils Roman "Wetter" eine beklemmende Atmosphäre und eine Gültigkeit weit über seinen Zeitrahmen hinaus verleiht. Und auch die Gedanken über den Klimawandel langweilen nicht, sondern regen an. Dafür sorgen Jenny Offills Humor und die bunt flatternde Neugier Lizzies, die punktgenau weiß, wo sie zwischen kalten Cocktails und Erderwärmung als nächstes zu landen hat.

Ich möchte mit jedem Roman etwas Neues versuchen

Jenny Offill im Gespräch

Wolfgang Popp: Ihr Roman besteht aus kurzen prägnanten Absätzen, die aber ganz unterschiedlichen Inhalts sind - Wie kann man sich da den Schreibprozess vorstellen? Chronologisch oder sammeln Sie ihr Material zuerst und arrangieren es dann?

Jenny Offill

EMILY TOBEY / PIPER VERLAG

"Ich betrachte mein Buch wie ein Sternbild", Jenny Offill

Jenny Offill: Ich sammle zuerst mein Material und formuliere dann Satz für Satz den jeweiligen Abschnitt, fast als würde ich ein Prosagedicht schreiben. Da geht es allein um die sprachliche Ebene. Danach lege ich den Text für eine Weile zur Seite, weil ich einen kaltblütigen Blick brauche, um zu wissen, ob die Stelle gut ist. Die größte Gefahr bei dieser Art des fragmentarischen Schreibens ist es nämlich, dass die Anordnung der Abschnitte beliebig erscheint, deshalb ist es sehr wichtig, dass man die magnetische Anziehung zwischen zwei Absätzen findet und die dann nebeneinandersetzt.

Da gibt es Alltägliches aus dem Familienleben der Ich-Erzählerin Lizzie Benson, dann wieder berichtet sie über die Probleme mit dem Bruder, der gerade auf Entzug ist, oder sie zitiert Fakten zum Klimawandel - wie behalten Sie den Überblick über Ihr Material?

Ich betrachte mein Buch wie ein Sternbild. Die Dinge, die mich interessieren und die ich sammle, sind für mich wie kleine Lichtpunkte. Und genauso wie wir am Nachthimmel die einzelnen Sterne zu einem Schützen zusammendenken, sollen sich diese Lichtpunkte im Buch zu einer Geschichte verknüpfen. Was die Begebenheiten des Alltags angeht, die meine Lizzie so erlebt, so greife ich da auf meine Notizbücher zurück, in die ich meine täglichen Beobachtungen eintrage. Und sobald ich weiß, in welchem familiären und städtischen Umfeld sich meine Ich-Erzählerin bewegt, habe ich die Basis, von der aus ich sie auf ihre philosophischen Gedankenausflüge aufbrechen lassen kann.

Lizzie ähnelt mir mehr als jede andere meiner bisherigen Figuren

Was haben Sie über ihre Ich-Erzählerin von vornherein gewusst und was hat sich nach und nach ergeben?

Ich wollte eine sehr poröse Figur. Wie ein Schwamm sollte sie die Geschichten aufsaugen, die ihr andere erzählten, und sich daneben Gedanken machen über Menschen, denen sie einfach auf der Straße begegnete. Diese Lizzie ähnelt mir auch mehr als jede andere meiner bisherigen Figuren, weil ich mir einfach ausgemalt habe, wer ich heute wäre, wenn das mit der Schriftstellerei nicht geklappt hätte. Und dann wollte ich noch, dass Lizzie jemand ist, der sich um andere kümmert und sorgt, aber nicht nur als Mutter und Ehefrau, und so kam mir die Idee mit dem Bruder auf Entzug.

Eines der zentralen Themen im Buch ist der Klimawandel, nicht unbedingt ein neues Thema. Warum haben Sie es in ihren Roman gepackt?

Ganz klar: Über den Klimawandel wird schon seit Jahren geschrieben, die Mehrzahl der Romane spielen aber nach der Apokalypse. Diese Geschichten in einer dystopischen Zukunft haben mich aber nicht ergriffen. Ich dachte mir beim Lesen nur, ich will nicht auf staubigen Landstraßen leben und Angst vor kannibalistischen Attacken haben müssen, machte mir aber keine Gedanken über den gegenwärtigen Zustand der Welt. Eine befreundete Umweltaktivistin hat mir aber die Augen geöffnet, dass die bisherigen Prognosen viel zu zurückhaltend waren und wie viel rascher der Klimawandel tatsächlich vor sich geht. Und dieses Nebeneinander, das ich selbst erlebte, wollte ich darstellen. Wie man mit diesem gravierenden Problem umgeht, während man gleichzeitig mit den Banalitäten des Alltags fertig werden muss.

Die Geschichte spielt in den Monaten vor und nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten. In einem Roman über Politik zu schreiben, ist aber ähnlich schwierig wie eine gute Sexszene aufs Blatt zu bekommen. Gab es irgendwelche Regeln, die sie für sich aufgestellt haben?

Lange Zeit gab es nur die Regel: Mach es nicht! Ich möchte aber mit jedem Roman etwas Neues versuchen, denn ich schreibe sehr lange an meinen Büchern, sieben Jahre an diesem hier, und da brauche ich Herausforderungen, die mein Interesse wachhalten.

Zuerst wollte ich die Wahl nicht thematisieren, dann gewann Trump aber und die Stimmung in der Gesellschaft war plötzlich eine so völlig andere. Ich war vor der Wahl auf einer Lesereise und durch die Fahrer, mit denen ich da plauderte, bekam ich einen guten Einblick in die Gedankenwelt von Trump-Wählern.

Trumps Namen erwähne ich deshalb im Roman kein einziges Mal, damit ein Leser in der Zukunft nicht nachschlagen muss, wer Trump war, sondern einfach dessen Persönlichkeit versteht. Und dann fand ich auch noch den Druck von außen interessant, den Lizzie durch die Trump-Wahl empfand, und der sie viele Dinge anders sehen ließ.

Sie schreiben eine sehr rhythmische, unmittelbare Sprache. Als Leser fühlt man sich da direkt angesprochen. Lesen Sie sich das Manuskript laut vor, um zu diesem Sound zu kommen?

Es ist witzig, ich bin nämlich eigentlich nicht musikalisch und kann auch kein Instrument spielen. Beim Schreiben weiß ich aber sofort, wann sich eine Stelle falsch anhört. Ich arbeite schon am Klang, bevor ich mir überhaupt Gedanken über die Bedeutung der Szene mache.

Das Zitat am Beginn des Buches aus eine Versammlung der Puritaner im Jahr 1640: "Beschlossen, dass die Erde dem Herrn gehört samt all ihrer Fülle; beschlossen, dass die Erde den Heiligen gegeben wurde; beschlossen, dass wir die Heiligen sind." Ist das authentisch oder erfunden?

Ja, das ist authentisch. Ich bin durch meine Beschäftigung mit dem Klimawandel auf die Puritaner gestoßen, weil sie diesen Gedanken gelebt haben, die Krone der Schöpfung zu sein und frei über die Erde verfügen zu können. Ich meine, dieser Satz: "beschlossen, dass wir die Heiligen sind", das ist doch die Haltung von "White America" auf den Punkt gebracht.

Service

Jenny Offill, "Wetter", Roman, Piper. Originaltitel: "Weather"

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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