Kinder während des 2. Weltkrieges, Fußball, Puppe

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Kriegskinder und ihre Nachkommen

Es sind Geschichten mit vielen Unbekannten, Nachforschungen mit ungewissem Ausgang: Gibt es ihn wirklich, den österreichischen Halbbruder, fragt sich ein französisches Geschwisterpaar; und wenn ja, wo? Wie hieß der leibliche Großvater, angeblich ein Wiener Bäcker und als Wehrmachtssoldat in der Hafenstadt Saint Nazaire stationiert - eine weitere Französin geht den Wurzeln ihrer Familie auf den Grund.

Die Suchenden haben Väter oder Großväter, die im zweiten Weltkrieg im Feindesland verbotene Beziehungen führten, aus denen Kinder hervorgingen; Kinder von in Österreich inhaftierten, französischen Kriegsgefangenen oder von in Frankreich stationierten, österreichischen Wehrmachtssoldaten. Ein Kind vom Feind zu bekommen war für die Frauen eine Schande und mitunter gefährlich. So ist das Thema noch heute häufig ein gut gehütetes Familiengeheimnis, von Verwandten und Vorfahren ist oft nur wenig Auskunft zu erhalten.

Drei französische Familien erzählen über ihre Suche nach ihren unbekannten Verwandten oder Vorfahren. Bei ihren Recherchen unterstützt sie der französisch-deutsche Verein "Coeurs sans frontières - Herzen ohne Grenzen".

Auf den Spuren des Halbbruders. Hinweise aus Tagebuch und Briefen

Marcel Leulier (1918-1992) war von 1940 bis 1945 Kriegsgefangener in Österreich. Von 1940 bis 1943 war er im Stalag XVII B in Krems-Gneixendorf inhaftiert, von 1943 bis 1945 im Stalag 398 in Pupping. Seine Kennnummer lautete 41100.

Er wurde zu Arbeiten auf Bauernhöfen der Region verpflichtet, wo genau ist unbekannt. Aus einem Brief an seine Mutter aus dem Jahr 1942 geht hervor, dass er von Mai bis September 1942 als einziger Kriegsgefangener unter dem Kommando AK L836-B100 auf einem Bauernhof einer jungen Bäuerin arbeitete, deren Mann an der russischen Front kämpfte und gefallen ist.

Vermutlich ist aus der Beziehung zu dieser jungen Frau ein Sohn hervorgegangen. Hinweise stammen aus einem Tagebuch und aus einem Brief, in dem Marcel Leulier schreibt „Sollte ich zurückkommen, werde ich nicht allein sein.“ Außerdem erzählen einige Verwandte, dass sie von der Existenz eines Sohnes gewusst haben. Dieser Sohn soll Ende der 1970er, Anfang der 1980er bei Marcel Leuliers Wohnadresse in Paris (18 rue Jacques-Louvel Tessier 75010 Paris) geklopft haben und vielleicht sogar seine Arbeitsstelle, eine Pariser Apotheke, aufgesucht haben - ohne Erfolg. Marcel Leuliers Tochter sucht ihren Halbbruder und ist für jeglichen Hinweis über den Bauernhof, wo das Arbeitskommando AK L836-B100 tätig war, dankbar.

Coeurs sans frontières - Herzen ohne Grenzen - Nr. 732 Marcel Leulier

Gibt es ihn wirklich, den österreichischen Halbbruder?

George Sarrat (verstorben im Jahr 2013) wurde 1940 in Lille von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen und in das Stalag Wolfsberg in Kärnten transportiert. Er arbeitete auf verschiedenen Bauernhöfen, wo er zum Teil auch untergebracht war, und gehörte dem Arbeitskommando AK 332 L an. George Sarrat erzählte seinen Kindern, dass er während seiner Gefangenschaft eine Freundin hatte - Details wissen sie allerdings nicht.

Im Jahr 2020 erfuhren Georges Sarrats Kinder von einer Großcousine das Familiengeheimnis: ihr Vater hätte einen Sohn in Österreich und sie somit einen Halbbruder, der zwischen 75 und 80 Jahre alt wäre. Hinweis ist ein Kinderfoto, das die Verwandte als Kind zu sehen bekam und die Auskunft erhielt, es handle sich um Georges Sarrats Sohn. Der Postbeamte dürfte das Foto nach seiner Rückkehr seinem Cousin oder seiner Cousine anvertraut haben. Das Foto gibt es nicht mehr, Zeitzeugen ebenso wenig und Nachforschungen bei einem der Bauernhöfe, auf denen George Sarrat gearbeitet hatte, blieben erfolglos.

Coeurs sans frontières - Herzen ohne Grenzen - Nr. 784 George Sarrat

Günt(h)er

KATIA ETRONNIER

Günt(h)er

Der Großvater auf dem Foto mit der unleserlichen Schrift

Der leibliche Vater von Maurice Latronche war ein an der Atlantikküste in Saint-Nazaire stationierter Wehrmachtssoldat, mit dem Vornamen Günt(h)er. Der einzige Nachweis dafür ist ein Foto, dessen Inschrift auf der Rückseite zu großen Teilen unleserlich ist. Es soll Briefverkehr zwischen der jungen Mutter Yvonne Latronche und dem Soldaten gegeben haben, der allerdings vernichtet wurde. Die beiden sollen sich Ende 1942 in Saint Nazaire in einem Lebensmittelladen, in dem die damals 18- oder 19-jährige Yvonne arbeitete, kennen gelernt haben.

Maurice Latronche wurde im Oktober 1943 geboren und von seinem Onkel und seiner Tante aufgezogen und adoptiert. Von seinen leiblichen Eltern erfuhr er erst im Erwachsenenalter. Seine Enkeltochter sucht Hinweise über ihren leiblichen Großvater Günt(h)er, der der Beschriftung auf dem Foto zufolge in der Oswaldgasse in Wien gelebt haben soll. Durch Anekdoten vermutet sie, dass er aus einer Bäckersfamilie stammte oder in einer Bäckerei gearbeitet hat. Versuche, den Nachnamen zu entziffern, ergaben die Namen Schäffler, Schiffer oder Schifter.

Die Enkeltochter sucht ihren leiblichen Großvater, der womöglich an der russischen Front gefallen ist, oder dessen Verwandte.

Service

Hinweis können direkt an Franziska Lacombe von Coeurs sans frontières geschickt werden: Franziska Lacombe

Coeurs sans frontières – Herzen ohne Grenzen. Deutsch-französischer Verein der Kinder des zweiten Weltkriegs