Tatort, Polizei, Absperrband

APA/AFP/YANN SCHREIBER

Gegen den Alltagsrassismus

"Drei Kameradinnen" von Shida Bazyar

2016 sorgte die Schriftstellerin Shida Bazyar mit ihrem Debütroman "Nachts ist es leise in Teheran" für Begeisterung. Der iranisch-deutschen Familiengeschichte in vier Stimmen und vier Generationen folgt nun mit "Drei Kameradinnen" eine wütende Ich-Erzählung über drei Freundinnen mit migrantischem Background im Angesicht rassistischer Gewalt.

Eine lange schlaflose Nacht hindurch schreibt die Ich-Erzählerin Kasih gegen ihre Wut und Ohnmacht und gegen die Angst, verrückt zu werden, während sie auf die Entlassung ihrer besten Freundin aus der U-Haft wartet. Und es wird rasch klar: "Hier geht’s um was. Wir werden hier nicht in etwas hineingestoßen und folgen der Handlung, sondern hier geht’s um alles!", sagt die Autorin Shida Bazyar.

Mit aller gebotenen Dringlichkeit schildert die Ich-Erzählerin Kasih, wie es zur Verhaftung ihrer Freundin Saya kommen konnte. Sie tut es sprunghaft und zusammenhanglos, holt dabei weit aus und blickt zurück bis in die gemeinsame Kindheit in der schäbigen Stadtrandsiedlung, wo Saya, Kasih und Hani erste Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung machten. Dort lernten sie, dass ihre Sprachkenntnisse niemand für wertvoll hielt und dass ein verräterischer Name sämtliche Tore verschließt: von Bildungseinrichtungen, Wohnungen und begehrten Arbeitsstätten.

Die Mär von der Radikalisierung

Solche Erfahrungen mussten wohl zu Sayas islamistischem Attentat führen - oder nicht? Denn der medial ausgeschlachtete Brandanschlag, dessen man sie bezichtigt, erinnert eher an den Anschlag von Hanau, bei dem ein rechtsradikaler Attentäter neun Menschen ermordete. Doch auch das ist eine falsche Fährte, sagt Shida Bazyar: "Beim Anschlag von Hanau im Februar 2020 war mein Buch im ersten Durchlauf schon fertig. Es war für mich erschreckend, aber auch aufschlussreich, dass ich trotzdem nichts am Text ergänzen musste."

Vielleicht ist das die schmerzlichste Erkenntnis ihres Romans: Dass Ort und Tatzeitpunkt nichts zur Sache tun, genauso wenig wie die Herkunft der Opfer, weil die Mechanismen immer dieselben sind, mit denen rechtsradikale Anschläge als tragische Einzelfälle, abgekoppelt von ideologischen Hintergründen betrachtet werden, so Bazyar. Und, dass die Tendenz, von einem radikal islamistischen Attentäter auszugehen, offenbar näherliegt, als die Möglichkeit einer rassistischen Tat.

Spiel mit der (fehlenden) Glaubwürdigkeit

Über solche Umstände denkt Kasih nach in ihrer durchschriebenen Nacht, aber auch darüber, dass sie und ihre Freundinnen sich von klein auf deutlich mehr anstrengen mussten, um im Leben dorthin zu kommen, wo andere von Geburt wegen längst sind. Ein Umstand, den Kasih auch ihren Leserinnen und Lesern immer wieder gnadenlos um die Ohren haut, die sie als privilegierte und ignorante weiße Angehörige der Mittelschicht direkt anspricht.

Diese saloppe Ansprache hinterlässt ein Gefühl des Unbehagens, man fühlt sich ertappt und beschämt und hält dennoch vergeblich Ausschau nach dem erhobenen Zeigefinger. An seiner Stelle finden sich witzige Episoden von misslungenen Partyflirts und durchzechten Nächten auf der WG-Couch, und immer wieder das unverhoffte Eingeständnis der Erzählerin, dass sie es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt.

Kluge Bestandsaufnahme

"Für mich war das ein Ausweg aus dem Dilemma, wie ich denn damit umgehen sollte, dass einer Erzählerin, die einer Minderheit angehört, von vornherein nicht geglaubt wird, wenn sie von rassistischen Demütigungen erzählt", sagt Shida Bazyar, die selbst im Freundeskreis die Erfahrung machte, dass ihre Rassismus-Erfahrungen relativiert oder mit dem Satz "Vielleicht bildest du dir das nur ein" abgetan wurden.

Diese freche, fast unverschämte Erzählstimme, vermischt mit grüblerischen Passagen, Reflexionen und zügigem Handlungsfortgang macht Bazyars Roman zu einem nicht immer leicht bekömmlichen, aber ungemein faszinierenden Erzählkunstwerk, und zugleich zu einer äußerst klugen Bestandsaufnahme der aktuellen gesellschaftlichen Schieflage.

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Shida Bazyar, "Drei Kameradinnen", Roman, Kiepenheuer & Witsch

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