Audre Lorde, Buchcoverausschnitt

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Essays

"Sister Outsider" von Audre Lorde

Die afroamerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde (1934-1992) zählte zu den Vorreiterinnen des schwarzen Feminismus in den USA. Ihre Texte gehören längst zum internationalen Kanon, sind im deutschen Sprachraum allerdings weitgehend unbekannt. Jetzt erscheint die erste deutsche Übersetzung des Essaybands "Sister Outsider", der trotz seines Alters alles andere als verstaubt wirkt.

"Ich bin eine schwarze feministische Lesbe und Mutter" - mit solchen oder ähnlichen Worten deklarierte sich die 1934 geborene Audre Lorde in fast allen ihren Texten. Diese Zugehörigkeit zu gleich mehreren Randgruppen wurde zum Motor ihres Aktivismus, der bis heute nachwirkt, sagt die Professorin für Politikwissenschaft und Gender Studies Nikita Dhawan: "Vieles davon ist immer noch revolutionär!"

Ich bin eine schwarze feministische Lesbe und Mutter

Die aus Indien stammende Dhawan hat das Nachwort zur deutschen Übersetzung von "Sister Outsider" verfasst und meint: "Was auffällt, sind vor allem die vielen, brillanten Argumente in ihren Texten."

Geistige Mutter von #MeToo & #BlackLivesMatter

Es sind schlagkräftige Argumente, mit denen Aktivistinnen und Aktivisten bis heute für ihre Rechte und gegen Rassismus, Sexismus, Heterosexismus oder Homophobie kämpfen - lauter Phänomene, die Lorde übrigens nie getrennt voneinander betrachtete, erklärt Dhawan:

"Wir haben die #MeToo-Bewegung, #BlackLivesMatter und #FridaysForFuture und man könnte meinen, das seien drei Parallele Bewegungen. Aber Audre Lorde hat schon früh argumentiert, dass es Körper gibt, die nicht nur gegen Rassismus, Sexismus oder Heterosexismus ankämpfen können, weil sie eben mehreren unterdrücken Gruppen zugleich angehören. Und sie hat sich entschieden für einen multidirektionalen Kampf ausgesprochen, lange bevor intersektionaler Feminismus Karriere machte."

Lyrik als politische Waffe

Lordes Eltern waren Einwanderer aus Grenada. Sie wuchs mit zwei älteren Geschwistern in Harlem auf und schrieb schon als Kind Gedichte. Die Lyrik wurde zum Zufluchtsort vor der - auch sprachlichen - Armut im wortkargen Elternhaus und später vor allem zum politischen Instrument ihrer Texte.

Die Akademikerin Lorde verfasste allerdings keine verworrenen Gedichte und komplexen Analysen, sondern einfache, einleuchtende und oft auch wütende Appelle, gespickt mit zahlreichen Alltagsbeispielen, die unter die Haut gehen.

Buchumschlag

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Alltagsrassismen, die unter die Haut gehen

So schildert sie etwa, wie sie ihre kleine Tochter im Einkaufswagen durch den Supermarkt schob und ein weißes Mädchen sagen hörte: "Schau Mama, ein Babydienstmädchen!" oder wie in den 70er Jahren schwarze Frauen auf einem Unicampus verprügelt und vergewaltigt wurden, weil sie sich zu einer feministischen Gruppierung zusammengeschlossen hatten.

"Heute sind wir es mit Facebook & Co gewohnt, unsere Gedanken und Gefühle öffentlich zu machen, damals war das bahnbrechend", ist Nikita Dhawan überzeugt.

Widerstand auch in den eigenen Reihen

Die strategische Entscheidung, den schwarzen Feminismus aus den Privaträumen hinaus in die Öffentlichkeit zu bringen, und die Offenheit, mit der sie diesen Prozess durchführte, machten Lorde bekannt und beliebt, aber auch zur Angriffsfläche, zumal in der eigenen Community.

Nikita Dhawan: "Sie hat schwarzen Männern sexualisierte Gewalt vorgeworfen, weiße Feministinnen für ihren Rassismus kritisiert oder schwarze Feministinnen auf die Homophobie in der schwarzen Community aufmerksam gemacht. Sie hat also alle Gruppen, denen sie angehörte, immer auch von innen kritisiert."

Namenlos, unbekannt, übersehen

Der Essayband "Sister Outsider" erschien 1984 und enthält neben den feministischen Plädoyers auch Reiseberichte und ein Interview, das die Thesen der Schriftstellerin anschaulich und greifbar macht. An der großen Aktualität der Texte auch 40 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung lässt Nikita Dhawan keinen Zweifel.

Und sie nennt ein Beispiel aus einem anderen Kontext: "2019 waren Klimaaktivistinnen und -Aktivisten im globalen Süden, etwa in Brasilien oder auf den Philippinen, am stärksten von politischen Morden betroffen. Und trotzdem denken wir, wenn wir an Klimaaktivismus denken, zuerst an Greta Thunberg", sagt Dhawan und räumt ein: "Ich finde sie fantastisch, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will sie nicht kritisieren. Aber es gibt eben tausende Menschen, die dafür ermordet wurden, und wir kennen nicht einmal ihre Namen."

Namenlos, unbekannt und übersehen - gegen dieses Schicksal zahlloser schwarzer Frauen schrieb Audre Lorde bis zu ihrem Krebstod 1992 an. Ihre Texte lösen zunächst Verstörung und Unbehagen aus, setzen in ihrer Direktheit allerdings einen Denkprozess in Gang, der vor allem der westlichen Gesellschaft dringend anzuraten wäre - als wirksames Mittel gegen die eurozentristischen Scheuklappen.

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