Krüger & Pardeller, Zukunft einer Vision

KÖR GMBH 2020/IRIS RANZINGER

Seestadt Aspern

Zukunft einer Vision

Pardeller und Doris Krüger den Bezug zur Geschichte ihres Standorts vermitteln: mit einem Kunstwerk gleich bei der U-Bahnstation, das auf die Vergangenheit als Flughafen verweist, und mit einer gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler und Autor Chris Zintzen herausgegeben Publikation.

Dieses Buch, „Zukunft einer Vision“ (Schlebrügge.Editor, 2020) ist Bestandteil des Kunstprojekts - und wohl die erste kulturwissenschaftliche Aufarbeitung des Geländes und seiner Entwicklung im 20. Jahrhundert.

Krüger & Pardeller, Zukunft einer Vision

KÖR GMBH 2020/IRIS RANZINGER

Der Zeppelin landete hier

Bevor die Gegend Seestadt hieß, war sie - weit über die Grenzen Wiens hinaus - bekannt als das Flugfeld Aspern. 1912 eröffnet, galt der Flughafen um 1930 als einer der modernsten und internationalsten. Große Flugschauen fanden hier statt, für die Tausende aus Wien anreisten, um sportliche Wettbewerbe zu sehen und dem technischen Fortschritt der zivilen Luftfahrt zu huldigen.

Bodenmarkierungen für die Vermessung des Zeppelinumfangs waren noch erhalten, als man 2011 das ehemalige Flugfeld für die zukünftige Bebauung aufzubereiten begann. Es gab Forderungen, einige Spuren des historisch bedeutenden Flughafens zu erhalten, diese in die neue Stadt zu integrieren, doch derartige Ideen passten nicht ins Marketingkonzept. Es sei ein Versäumnis, diese Geschichte in der Bewerbung, der Besprechung der der öffentlichen Wahrnehmung des Großprojekts vorzuenthalten, meinen Doris Krüger und Walter Pardeller. Es sei ja nicht nur die Freizeiteinrichtung des Sees, die eine Verbundenheit mit dem lokalen Umfeld und ein urbanes Gefühl erzeugt, sondern eben auch die Geschichte.

Liegendes Buch

KRÜGER & PARDELLER

Geladener Wettbewerb

Als das Künstlerduo Doris Krüger und Walter Pardeller 2014 auf Einladung von Kunst im öffentlichen Raum Wien den Ort besuchten, war die U-Bahn gerade fertig. Es gab ein paar Rohbauten und Kräne, sonst aber nur: die schiere Weite des asphaltierten Feldes im urbanen Niemandsland. Eine Retortenstadt, im suburbanen Nichts aus dem Boden gestampft, so das Image des Stadtentwicklungsgebiets im Nordosten Wiens, mit einem See als namensgebendes Zentrum. „Man hatte das Gefühl, man fahrt da hinaus in eine Satellitenstadt, ohne eine historische Anbindung an Wien“, erzählt Doris Krüger über die ersten Begehungen, „das war auch immer der Kritikpunkt. Und das stimmt ja so überhaupt nicht - gerade diese Kritik ist nicht berechtigt, weil der Ort eine so spannende und dichte Geschichte aufzuweisen hat, in einer ganz engen Verbindung mit der Stadt. In enger Verbindung auch mit den politischen Ereignissen, von der Monarchie bis zur Gegenwart“. Diese Lücke zu füllen sei die Intention von Krüger & Pardeller gewesen. Sie haben einerseits eine Platzgestaltung entwickelt, und dabei die Publikation von Anfang an mitgedacht.

Aufgeschlagenes Buch

KRÜGER & PARDELLER

Doris Krüger und Walter Pardeller haben - im Auftrag der Institution Kunst im öffentlichen Raum Wien und der Wiener Linien - ein Kunstwerk entwickelt, das 2020 gleich neben der U-Bahn-Station Seestadt realisiert wurde. Es heißt „Zukunft einer Vision“ und ist eine den Bodenstrukturen des ehemaligen Flughafens nachempfundene Skulptur, auf der man gehen und auch sitzen kann. Elemente aus Beton und Kerben im Boden zeichnen die Formation der einstigen Rollpisten nach. In Bronze sind Abgüsse der Oberfläche eingelassen, die Krüger&Pardeller hier vorgefunden und abgenommen haben, verwittert und von den Flugzeugen abgeschliffen.

Krüger & Pardeller, Zukunft einer Vision

KÖR GMBH 2020/IRIS RANZINGER

Die Tiefenstaffelung der Landschaft wachhalten

„Entgegen der Strategien der Seestadt haben Krüger & Pardeller den Flughafen hier verankert“, sagt der Autor und Literaturwissenschaftler Chris Zintzen, der gemeinsam mit dem Künstlerduo das die Skulptur begleitende Buch „Zukunft einer Vision“ erarbeitet hat. „Das Buch setzt diesen Impuls fort. Auch Geschichte und Gegenwart sind nicht Eigentum einer Errichtungsgesellschaft. Es gibt das Vielsinnige und das Vielschichtige. Das Buch soll dazu beitragen, die Tiefenstaffelung der Landschaft wachzuhalten.“

Das ist ein integraler Bestandteil des Kunstprojekts - es ist zeitgleich mit der Eröffnung des Kunstwerks in der Seestadt im Sommer 2020 erschienen, im Verlag Schlebrügge.Editor, und es wurde an alle Haushalte in der Seestadt ausgeliefert. Der Umschlag ist ein gefaltetes Poster: die körnige Reproduktion einer Luftaufnahme von einem britischen Sondierungsflug in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. „Das ist eine wunderschöne Luftaufnahme, wo man die Rollfelder sieht, auch etwas wie Bombeneinschläge“, demonstriert Doris Krüger, „Das Cover kann man auffalten und sich als Bild aufhängen. Der Farbton ist bläulich wie eine Blaupause. Wenn man dann das Buch weiter aufschlägt, kommt man zur Doppelseite, wo wir - eine Mehrfachbelichtung - auf dem leerem Feld stehen“.

Ideen statt Visionen

Es folgt ein Essay über die Begriffe Utopie und Vision, die Chris Zintzen einer scharfen Kritik unterzieht. In einem weiteren Text analysiert er die Studien und die Medienberichte, die bisher über die Seestadt erschienen sind - wie sich die gebaute Realität von der durch PR-Strategien vermittelte „Vision“ einer zukünftigen Stadt unterscheidet: „Wir sind konfrontiert mit der gebauten Wirklichkeit der Seestadt, mit dem was an Marketingparolen vorliegt. Und haben auch schon die öffentliche Diskussion und Rezeption der Seestadt vor uns liegen. Wir haben also schon ein reiches, diskursives Feld, das ich beackere. Da stelle ich fest, dass der Begriff der Vision auch irreführend sein kann. Heißt er überhaupt etwas? Wenn man heute sich in PR und Firmenphilosophie umsieht: Vision ist der Begriff der Stunde! Jeder hat Visionen und leitet daraus eine Mission ab, vision und mission.“

Krüger & Pardeller, Zukunft einer Vision

KÖR GMBH 2020/IRIS RANZINGER

Immer ein Experimentierfeld

Nach seiner Schließung als Flugfeld im Jahr 1977 - Schwechat hatte an Bedeutung zugenommen und beanspruchte die Flugschneise - dienten die weiten Rollfelder als Autorennstrecken. Die Größen der Branche drehten hier ihre Runden, von Keke Rosberg bis Niki Lauda.

Selbst in Hinblick auf seine Bau- und Siedlungsgeschichte ist Aspern keineswegs eine Tabula Rasa, schildert Chris Zintzen: „Bau- und siedlungshistorisch erweist sich der Nordosten als sehr interessant. Es war immer ein Experimentierfeld; in allen politischen Phasen gab es Siedlungen mit Nutzgärten, informell, manchmal eher anarchistisch. Das zu wissen erweitert die Perspektive, wir sehen darin einen Wert. Die Einnahme des Landes durch die Bauherren, Geschichtsvernichtung und -planierung können wir nicht dulden!“

Der Architekt André Krammer, der sich in seinem Textbeitrag mit der Urbanisierung Transdanubiens befasst, resümiert über die Seestadt: “Sie ist weder autonomer Satellit noch klassische Vorstadt. Sie befindet sich in einem Zwischenraum, der seine Konturen erst finden muss. Urbanes Leben im großstädtischen Sinn, wie von so manchem Schaubild suggeriert wird, darf man sich wohl nicht erwarten, dafür aber ganz spezifische stadträumliche und soziale Potentiale wie auch Atmosphären, die erst durch den Gebrauch der NutzerInnen über die Zeit hinweg entstehen werden.“

Aufgeschlagenes Buch

KRÜGER & PARDELLER

Das Potential von Teilhabe

Ins Buch immer wieder eingestreut sind Doppelseiten mit Satzfragmenten wie „ICH BIN DIE LEERE UND DER RAUM UND DIE MACHT DER DINGE“ oder auch „DER WIND ERINNERT WOHIN WIR HIER SIND“. Das sind verbale Skizzen von Krüger & Pardeller. Auf der letzten Seite schließlich steht: „VISION DURCH INTERPRETATION VIELER ALS TRANSFORMATION DER VISION“. Dieser Satz ist in der Seestadt in den Boden eingelassen - er verweist auf die Handlungsmöglichkeit der Vielen, um die Vision der Wenigen mit Leben und Inhalt zu füllen.

Für die Identifizierung der Bewohner Bevölkerung der Wiener Seestadt mit ihrem Lebensumfeld, aber auch für die Akzeptanz der skeptisch beäugten Stadt am Ende der U2 durchs restliche Wien, wäre ein Bezug zur Geschichte des Areals wichtig, meinen Doris Krüger und Chris Zintzen. Ein künstlich geschaffener Badesee reicht für die Imagekonstruktion möglicherweise nicht aus.

Service

KÖR - Kunst im öffentlichen Raum Wien
Krüger & Pardeller
Schlebrügge.Editor
Zeppelin-Landung in Aspern auf stadtfilm-wien

Gestaltung

  • Anna Soucek

Übersicht