Keith Gessen

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Russland-Roman von Keith Gessen

"Ein schreckliches Land"

"Wir sollten der Situation in Russland mehr Aufmerksamkeit widmen, und das Buch ‚Ein schreckliches Land‘ ist ein exzellenter Anlass, um damit zu beginnen", hat der britische "Guardian" über den neuen Roman des US-amerikanischen Journalisten und Schriftstellers Keith Gessen geschrieben. Ein junger Literaturwissenschaftler verbringt darin ein Jahr in Moskau, um dort seine Großmutter zu pflegen.

Wie Keith Gessen selbst, wurde auch sein Protagonist Andrei Kaplan, in Moskau geboren, die Familie emigrierte Anfang der 80er Jahre in die USA. Was der reale Gessen und der fiktive Kaplan darüber hinaus gemeinsam haben: Im Sommer 2008 und damit mitten in der Finanzkrise, zogen die beiden von New York nach Moskau, um dort die demente und gebrechliche Großmutter zu betreuen.

"Damals, in der Zeit von Medwedews Präsidentschaft", erzählt Keith Gessen, "entspannte sich die Situation in Russland: Die Medien genossen größere Freiheiten und man hatte das Gefühl, das Land könnte sich jetzt in eine andere Richtung bewegen. Diese Möglichkeiten verschwanden schlagartig als Putin 2012 wieder Präsident wurde. Für mich schien das aber ein spannender Zeitraum für meinen Roman zu sein."

Reportage versus Roman

Keith Gessens Debütroman "All die traurigen jungen Dichter" erschien 2008, daneben übersetzte er das Tschernobyl-Buch der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch und er schreibt als Journalist für den renommierten "New Yorker". "Ich habe mich den Großteil meines Arbeitslebens mit Russland beschäftigt", so Gessen. "Es ist mir aber nicht gelungen, die tatsächliche Erfahrung des russischen Alltags zu beschreiben."

Das wollte Keith Gessen mit seinem Roman "Ein schreckliches Land" nachholen und so lässt er seinen Andrei Kaplan mit neureichen Russen Eishockey spielen, von Politikersöhnen zusammenschlagen und an den Diskussionsrunden politischer Aktivisten teilnehmen.

Das Buchcover von "Ein schreckliches Land" von Keith Gessen.

Keith Gessens Roman "Ein schreckliches Land" ist bei CulturBooks erschienen

Wie bei Dostojewski

Einer von Kaplans neuen Freunden, der charismatische Sergej, darf in der Mitte des Romans einen Vortrag halten, der Russlands Übergang zum Kapitalismus beschreibt.

"Im Roman jemanden eine lange, kluge Rede halten zu lassen", sagt Keith Gessen, "ist immer ein wenig riskant. Weil aber in russischen Romanen und vor allem bei Dostojewski in fast jedem Buch eine Figur auftaucht, die eine dramatische philosophische Rede hält, dachte ich mir, vielleicht komme ich ja damit durch."

Verhaftet und verhört

Andrei Kaplan ist ein sympathischer Loser, mit dem man gerne einen über den Durst trinkt, durch die Straßen des klirrend kalten Moskau streift, oder weniger gerne, ein Verhör durch den Geheimdienst über sich ergehen lässt.

"Ich wurde selbst verhaftet", erzählt Keith Gessen, "als ich 2009 über die Bürgermeisterwahl in Sotschi berichtete. Zu den Kandidaten gehörte auch der Oppositionelle Boris Nemzow, der später unweit des Kremls erschossen wurde; und als ich Nemzows Wahlkampfleiter am Wahltag begleitete, tauchte die Polizei auf und nahm mich mit."

Unheimlicher Humor

"Das Unheimliche an einem autoritären Regime wie dem russischen ist, dass der Alltag völlig normal aussieht, solange man nicht derjenige ist, der verhaftet wird", sagt Keith Gessen. Was an seinem Roman "Ein schreckliches Land" unheimlich ist: Dass Gessen es trotz der eindringlichen und oft drastischen Beschreibung der russischen Zustände schafft, den Humor und die Unterhaltung nicht zu kurz kommen zu lassen.

Service

Keith Gessen, "Ein schreckliches Land", Roman, aus dem Englischen von Jan Karsten, CulturBooks
Originaltitel: "A Terrible Country", 2018

The New Yorker - Keith Gessen

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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