Telefon, Sitzpolster

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Hörspiel

Flüstern in stehenden Zügen

Hörspiel nach einem Theaterstück von Clemens J. Setz

Als in Lockdownzeiten der ersten Jahreshälfte 2021 der Theaterbetrieb stillstand, wurde uns ein Bühnenstück, das auf seine Premiere wartete, für eine Hörspielbearbeitung vorgeschlagen, mitsamt den drei Schauspieler/innen. Ein Mann telefoniert mit Fake-Callcenter-Agents und liest ihnen, mutmaßlich aus Herzensgüte, die Leviten, weil sie partout nicht normal mit ihm reden.

Trägt das im Hörspiel eine knappe Stunde, zumal wir einiges an Buchstaben, vor allem Wortgewalt und zu deutliche Figurencharakterisierung sowie gänzlich die Gesprächspartner und -partnerinnen, bis auf eine, die wichtigste, zu streichen beabsichtigten, wenn folglich, neben ein paar echten Dialogen, vor allem einem Mann dabei zu lauschen wäre, dass er ins Telefon spricht? Ist das nicht gar eine Spur zu lind?

Wir denken, dieser Text hat dem Abspecken nicht nur standgehalten, er gewinnt an außergewöhnlicher Leuchtkraft. Der Autor hatte, unterhalb der Bezüge auf die Bühnenöffentlichkeit, einen genauen Blick in den Zustand seines Protagonisten beschrieben, in lyrischem Ton.

Im Schauspielhaus Graz war "Flüstern in stehenden Zügen" von Clemens J. Setz für die österreichische Uraufführung fertig geprobt. Die beiden Darsteller und die Darstellerin waren textsicher, was uns entgegenkam. Aber sie hatten die Bühne "in den Beinen" und natürlich in der Stimme, was uns vor Ohren führte, worin wir uns als Hörspielmacher/innen bewegen: im Inneren der Zuhörerin und des Zuhörers. Bekommen die beiden zu wenig oder zu viel, gehen sie auf Distanz. Das wollen wir vermeiden, schon aus Respekt vor den Künstlerinnen und Künstlern, die an der Produktion beteiligt sind. Nach dem Autor Clemens J. Setz waren dies die Schauspielerin Evamaria Salcher als (schüchterne) Kundin im Computerreparaturgeschäft, Raphael Muff als (verwirrter) Geschäftsführer und vereinsamter Mann sowie Franz Solar als sein (wortkarger) Techniker; dazu Grilli Pollheimer, dessen Bühnenmusik deutliche Spuren im Hörspiel hinterlassen hat.

Der von Raphael Muff gespielte C. (Christoph? Christopher? Casimir Riese?! - wohl nichts dergleichen) sollte endlich wieder einmal die Wohnung verlassen, nicht nur zur Ausübung des Berufes, sondern zur Erbauung. Das hülfe der armen Seele gewiss. Dann hätten wir aber kein Hörspiel, denn ohne Dilemma kommen wir nicht weit. Clemens J. Setz lässt seinen Protagonisten bei Fake-Hotlines, bei Abzockerfirmen anrufen. Dort sitzen, in fernen Ländern, Menschen wie Roboter (und Roboterinnen) und rauben am Telefon leichtgläubige Internet- und Kreditkartenbenutzer aus. Was C. antreibt, was er gar im Schilde führt - wir dürfen derlei Fragen an uns selbst stellen. Die Indizienlage ist weder sprachlich noch atmosphärisch eindeutig. - Dies verspricht, wenn's denn auch in der Umsetzung gelingt, Genuss.

Regisseur Philip Scheiner und Klangkünstler Stefan Weber haben das groteske Kammerspiel von Clemens J. Setz ins Hörspiel übertragen, in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Graz und dem ORF-Landesstudio Steiermark, wo mit Tonmeister Christian Michl die Sprachaufnahmen gemacht wurden. Claudia Gschweitl stellt im Folgenden die Fragen.

Philip Scheiner

ORF

Philip Scheiner

Evamaria Salcher

Franz Solar

Raphael Muff

Gschweitl: Was ist das "Flüstern in stehenden Zügen" im Titel?

Scheiner: Das hab ich mich auch gefragt. Ein dermaßen aufgeladenes Bild als Parabel in einem Dialog und als Titel, das klang nach dem Versuch, einen Text aus der Banalität zu retten. Clemens Setz hat hier jedoch nichts Banales geschrieben, seine Züge, sein Stehenbleiben, sein Flüstern kommen als Metapher daher, sind aber weit mehr, sie bleiben der Erzählung ein gut gebauter Resonanzraum. Was in den stehenden Zügen passiert, wer im Kopf der Hauptfigur C. flüstert, mit welchen Fragen das Kind die Eltern löchert, werden wir nicht erfahren. Herr Setz hat das ganz richtig gemacht: Ein volatiles Skelett, gelogene Wahrheiten - in dem Text gerät die Dialektik in schwingendes Stocken.

Weber: Für mich ist das eine Metapher fürs Fremdschämen. Wenn der Zug (der Zeit) kaputt ist und alle aufs Weiterkommen (Karriere und mehr Geld etc.) warten, ist man gefälligst still und erträgt das alles gegen außen mit Demut und fragt nicht dumm herum. Schlechte Erziehung, wenn der Balg in dieser Situation dann in aller Lautstärke die Dummheiten der Eltern mit impliziert. Und weil man eben in der Gesellschaft der momentan Gestrandeten sitzt, sind diese Gemeinschaft und damit man selbst gerade sehr verwundbar. Das kann man auch als volatilen Zustand einer gelähmten Gesellschaft betrachten.

Gschweitl: Wie hat sich das Stück von der Bühne ins Hörspiel entwickelt?

Scheiner: Gelegentlich übertragen wir Theatertexte in unser Medium. Der Weg führt auch hierbei immer in dieselbe Richtung - die der Reduktion. Was sich auf der Bühne "verspielt", weil es mit der dort gegebenen Situation zu tun hat, darf gehen, weil es im Hörspiel nicht funktioniert. Hier gelten etwas andere Gesetze, den Text betreffend, den Ton, die gedankliche und darstellerische Trennschärfe, die gesamte Inszenierung ist ein anderer Organismus als jener am Theater. Clemens J. Setz hat mit "Flüstern in stehenden Zügen" ein Stück geschrieben, das sowohl auf der Bühne als auch im Hörspiel je eigene Stärken hat. In unserer Fassung ist der Protagonist allein, die Menschen am Telefon sind nicht zu hören. Er ruft bei Fake-Callcenter-Agents an. Worum es der Hauptfigur C. geht, hält der Autor offen, schreibt seinem C. ein ungelöstes, nach menschlichem Vorbild unbegriffenes Dilemma ins Herz. Will er Rache? Aufmerksamkeit? Gutes Tun? Rettung? Gar nichts? Einsamkeit, in welchen Schattierungen wir sie auch erleben, bietet wenig Schutz, zumal vor der Groteske. Setz hat eine solche verfasst, wir durften sie mit unseren Mitteln formulieren. Das war, wenn ich richtig informiert bin, für mehrere Beteiligte eine bereichernde Wanderung in etwas Stilles, dorthin, wo man auch als Darsteller lauscht und zu anders geklärten Gedanken findet, als wenn da draußen Öffentlichkeit wäre. Die hat schon der Autor des Raumes verwiesen. Jenen Raum haben wir der Scheinwerfer entledigt, Stefan Weber hat ihn, ich finde: hervorragend, gestaltet und eingerichtet. Den Text hatte ich verschlankt, währenddessen gewannen Stefan und ich den Eindruck von zu vertonender Lyrik. Das Layout, oft unterschätzt, zeigte nach und nach Strophen, ein luftigeres Schriftbild, das Raum für schauspielerische und klangliche Interpretation ließ. Ballast abgeworfen wird bis zum Ende der Produktion, Textstellen werden rausgenommen, Sounds reduziert, am Schluss soll das Stück transparent sein und seinen Atem gefunden haben.

Weber: Da hat jetzt Philip alles Wesentliche gesagt.

Gschweitl: Ein Beschäftigungsfeld von Clemens J. Setz sind Plansprachen. Auch in diesem Text greift er das Thema auf. Was erzählen die Sprachen der Spam-Mails und der angedeuteten dubiosen Kunden-Hotlines?

Scheiner: Da sind Menschen abgerichtet worden, um andere per Telefon und Kreditkarte zu berauben. Die mechanisierte Sprache erzählt von Entfremdungsprozessen, die zu Profitzwecken in Gang gesetzt und wiederholt werden. In allen wohlhabenden Ländern gedeihen die gesäten Einsamkeiten, in seiner sitzt Herr C. und versteht die Welt nicht mehr. Der Plan hinter der betrügerischen Sprache in diesen E-Mails und Telefonaten mag unredlich sein und vom gesellschaftlichen Zerfall künden, er dient in dem Stück vor allem einem Motiv, das Stefan "Erbärmlichkeit" genannt hat, wenn ich das richtig zitiere.

Weber: Die Telefonate werden durch C. ja nur zitiert, die Sprachebene der Anrufenden fällt im Hörspiel weg und öffnet dadurch alle Türen für die Phantasie der Hörer/innen. Das Verhalten von C. am Telefon macht einem ja nur bewusst, dass das ganze System C.-gegen-den-Rest-der-digitalen-Betrügerwelt dem Prinzip der erbärmlichen Gewalt, der Gewalt ohne Verantwortung, ohne Stolz oder Ideale (außer Geld natürlich) gehorcht. Es ist eine Propaganda für das Nichts. Das macht C. zu dieser feinen traurigen Figur. Er ist der Würmler im stehenden Zug.

Gschweitl: Das Hörspiel bietet unterschiedliche Atmosphären, Räume und Klangerzählungen an. Welche Überlegungen haben zu der Komposition geführt?

Scheiner: Meine Beteiligung war die Sprachregie, davor die sogenannte Strichfassung, die im entsprechenden Layout den Rhythmus beeinflusst. Das immer schlankere Schriftbild hat, zu jenen, die sich aus der Erzählung und dem Sprachklang ergaben, natürlich Empfindungen und Einfälle bei Stefan und mir ausgelöst. Mit Evamaria Salcher, Franz Solar und vor allem mit Raphael Muff ging es bei der Aufnahme um das Finden einer Sprache ohne Öffentlichkeit, eines Raumes im Kopf. Der Umgang mit Stille, mit dem Atem des Stückes, ist entscheidend. Ohren sind empfindsame Wesen, man soll ihnen keinen Mist erzählen, ihnen nichts aufs sehr sprichwörtliche Aug' drücken und man muss sehr klar denken, der Mensch da draußen hört jede gedankliche Ungenauigkeit, ob er damit etwas anfangen kann oder nicht, das ist dann Privatsache. Die Darsteller und die Darstellerin sollten sich jeweils die Zeit, also den Weg nehmen, den sie brauchten, bis der nächste Satz, oft das nächste Wort herausmuss. Das kann befremdlich lange dauern, da die Spielenden den Text erst einmal vergessen müssen, um ihn suchen und finden zu können, als Reaktion auf Gedachtes oder Gehörtes. Also haben wir den Rhythmus dann nach dramaturgischen Kriterien großteils neu gesetzt.

Weber: Die klangliche Vertonung war das Hörbarmachen des grotesken Vakuums im Geist des Riesen namens C. Jemandem, der so präzise aus der Zeit gefallen ist, an seelischer Klaustrophobie leidet, an der Wundertüte seiner selbst kindliche Begeisterung entwickelt, eine freie Melodie unterzulegen mit etwas veralteten Teilen einer nicht funktionierenden Maschine, war das Ziel. Und ja, auch das klangliche, harmonische Verführen in seine durchaus poetische Einsamkeit und Sehnsucht nach einem Weibchen, das er, wenn schon die Fortpflanzung nicht klappt, zumindest in den Schlaf reden kann.

Gestaltung: Philip Scheiner und Claudia Gschweitl