Chris Strachwitz in 2000

GEMEINFREI

Spielräume - Nachtausgabe

An den Wurzeln amerikanischer Musik

1960 gründete der ausgewanderte Christian Graf von Strachwitz sein eigenes Plattenlabel, Arhoolie Records. Der Name ist Programm, „Arhoolie!“ war ein Ausruf in Arbeitsliedern von Sklaven und Sklavinnen. Musik von unten war es, die Strachwitz der Nachwelt erhalten wollte. Heute kann man die Geschichte von Blues, Cajun und Zydeco nicht betrachten, ohne seine Rolle zu würdigen.

Der 16-jährige Chris mochte seine neue Heimat. So anders als im kriegszerstörten Europa war hier alles. Aus Niederschlesien war er - als Christian Graf von Strachwitz geboren - nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie vertrieben worden und 1947 im amerikanischen Westen gelandet. Später würde er den Militärdienst absolvieren (übrigens im noch US-besetzten Salzburg), Ingenieurswesen, Mathematik, Physik und Politische Wissenschaften studieren und kurz als Lehrer arbeiten.

Was ihn aber von Anfang an am meisten begeisterte, war die Musik des Landes. Er machte Aufnahmen von Radioprogrammen und Liveshows. Er interessierte sich zunehmend für die Traditionen, die dem Mainstream zugrunde lagen, teilweise verschüttet waren und in Radiosendungen und Filmen aufblitzten: Country und früher Jazz, Blues und Bluegrass, Lieder nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Spanisch, in Dialekten, französischem Patois etwa, geerdete Musik, von armen Einwanderer/innen oder Nachkommen von Sklaven/innen gesungen, gespielt und manchmal auf Platten aufgenommen - die Wurzeln all dessen, was sich die Unterhaltungsindustrie später aneignete. Roots Music.

Arhoolie Records

Leidenschaftlich sammelte Chris Strachwitz Schellacks und Singles (die ersten, kleinen Vinylplatten) der von ihm verehrten Musikerinnen und Musiker.

Es war nur konsequent, dass er seine Begeisterung zum Beruf machte und 1960 ein eigenes Plattenlabel, Arhoolie Records, gründete. Der Name ist Programm, „Arhoolie!“ war ein Ausruf in Arbeitsliedern von Sklaven/innen. Musik von unten war es ja, die Strachwitz der Nachwelt erhalten wollte.

Als Ersten nahm er den Bluesmusiker Mance Lipscomb auf, viele weitere sollten folgen, unter ihnen Lightnin’ Hopkins, für ihn bis heute der Größte im Blues. Strachwitz reiste durch den Süden der Vereinigten Staaten, in Louisiana nahm er Musiker der Cajun- und der Zydeco-Kulturen auf, im Südwesten die mexikanisch geprägten Traditionen Tejano und Norteño - bei letzterem, aus Nordmexiko kommendem Genre mischen auch tschechische und alpenländische Einflüsse mit, was ihn bei seiner Spurensuche zusätzlich fasziniert haben dürfte.

Der wichtigste Vermittler amerikanischer Musiktraditionen

Strachwitz hat sich nicht dem Zwang zum kommerziellen Erfolg unterworfen, gerade das macht Arhoolie Records zu einem der wichtigsten Vermittler amerikanischer Musiktraditionen, die den großen Plattenfirmen nicht profitabel genug waren und sind. Der Katalog ist über die Jahrzehnte gewachsen, er enthält ausgesuchte Rhythm-and-Bluesmusiker und Koryphäen mexikanischer Musik wie Leonardo „Flaco“ Jiménez. Dem Zufall - oder doch dem Gespür des Chefs? - war es zu danken, dass Arhoolie die Rechte an Country Joes Fixin’-to-die Rag hatte: Dessen Erfolg auf dem Woodstock-Festival sicherte die Finanzen des Labels und ermöglichte Strachwitz den Kauf einer Firmenzentrale mitsamt Plattenladen in El Cerrito an der San-Francisco-Bucht.

Arhoolie Records wird heute vom Museums- und Bildungsverbund Smithsonian als Teil von Folkways Recordings geführt. Strachwitz ist weiterhin Chef des Labels und damit eine der anerkanntesten Persönlichkeiten in der Branche. Ry Cooder zählt zu seinen Bewunderern, Bob Dylan und Tom Waits sitzen im Beirat seiner Stiftung für Erhalt und Dokumentation regionaler Musik. Es sei unmöglich, sagte die Musikerin Bonnie Raitt, die Geschichte von Blues, Cajun und Zydeco zu betrachten, ohne seine Rolle zu würdigen.

Gestaltung: Michael Freund