Markus Hinterhäuser

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Markus Hinterhäuser

Markus Hinterhäuser - Im Hier und Jetzt

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, im Ö1 Interview

Ö1: Herr Hinterhäuser, macht es Sinn angesichts der derzeitigen Pandemie-Situation an internationale Festspiele zu glauben?

Markus Hinterhäuser: Natürlich müssen wir daran glauben. Eine Pandemie, und noch dazu eine Pandemie von einem derartigen Ausmaß, hat sich niemand vorstellen können. Ich bin bestimmt nicht überoptimistisch, wenn ich sage, dass das irgendwann auch bewältigt sein wird. Es gibt nichts, woran wir mehr glauben und wofür wir mehr kämpfen müssen, als für die Kultur, für die Kunst, für das, wofür wir stehen und wozu wir aufgerufen sind. Wenn wir den Glauben daran verlieren, dann sieht es dunkel aus.
Wir werden irgendwann Mechanismen finden, die im Zusammenwirken von medizinischen Entwicklungen und unserem eigenen Verantwortungsbewusstsein ein Leben mit diesem Virus, diesem unsichtbaren Gegner, möglich machen.

Ö1: Warum hat es die Kunst nicht geschafft, von offizieller Seite als „systemrelevant“ eingestuft zu werden?

Markus Hinterhäuser: Wer bestimmt denn, was systemrelevant ist? Dieses scheußliche Wort würde ich durch „Relevanz“ ersetzen. Natürlich sind Kunst und Kultur relevant, sie sind außerordentlich relevant und diese Relevanz geht weit über monetäre und praktische Parameter hinaus. Es sind sehr wesentliche, sehr existentielle Fragen, auf die wir eine Antwort finden müssen. Wir sind in einer noch nie dagewesenen Weise mit dem Phänomen konfrontiert, Nähe nur noch durch Distanz schaffen zu können. Wir brauchen Kunst und Kultur mehr denn je, dringlicher denn je. Sie sind es, die den Menschen erst zum Menschen machen.

Ö1: Sie haben 1993 in der „Ära Mortier“ begonnen, für die Salzburger Festspiele mit dem „Zeitfluss“ Festival Neuer Musik aktiv zu sein. Ein starkes Zeichen für einen Aufbruch.

Markus Hinterhäuser: Die frühen 90iger Jahre waren in der Geschichte der Salzburger Festspiele ein ganz bedeutsamer, ja entscheidender Moment. Nach Jahren einer gewissen Bewegungslosigkeit gab es nicht nur das Bedürfnis, es gab auch eine große Lust, Neues zu wagen, ein vitales Festspiel der Künste möglich zu machen. Was sind Festspiele? Was für Forderungen, Ansprüche können, ja müssen Festspiele stellen? Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, die noch so nah und doch schon ziemlich fern erscheint, dann blicke ich fast in eine „Welt von Gestern“. Und dennoch: die Weichen für Festspiele der Zukunft wurden damals gestellt.

Ö1: Könnte man sagen, dass die Festspiele 2019 mit der Einladung an Peter Sellars, die Festspielrede zu halten, auch eine neue Tür aufgestoßen haben?

Markus Hinterhäuser: Das war tatsächlich eine Rede, die ganz wesentlich war. Festspiele und Kunst sind politisch, das wird man nicht wegdiskutieren können. Gemeint ist nicht die Tagespolitik, die sich zum Teil ja ziemlich jämmerlich darstellt, es geht um größere Gedanken. Festspiele der Zukunft dürfen die Zeitläufte nicht nur zur Kenntnis nehmen, sie müssen klug und kreativ agieren. Wir müssen uns ja verhalten zu der Welt, in der wir leben, wir haben nur diese eine Welt, wir haben keine zweite.
Und die großen Kunstwerke geben uns ja die Möglichkeit, ganz tief hineinzublicken in das, was man „conditio humana“ nennt. Genau das hat Peter Sellars getan, er hat uns in seiner Rede einen großen, einen wichtigen, einen unmissverständlichen Aufruf zur Achtsamkeit mitgegeben.

Ö1: Hat die Rede von Peter Sellars den Wunsch, bei den Festspielen nachhaltiger zu agieren, beschleunigt?

Markus Hinterhäuser: Wir als Festspiele können den Klimawandel nicht stoppen, da müssen wir realistisch sein. Wir können aber mit den Mitteln der Kunst aufrufen, über unsere Welt nachzudenken. Natürlich kann es, vielleicht sollte es auch eine Art von Vorbildwirkung geben. Wir verzichten beispielsweise ab kommenden Sommer bei den Festspielen zur Gänze auf Plastikflaschen. Ich würde das nicht als eine unmittelbare Konsequenz auf die Rede von Peter Sellars sehen, das war schon seit längerem Teil unserer Überlegungen. Peter Sellars hat uns allerdings sehr klar vor Augen geführt, worin auch eine Aufgabe der Festspiele liegen könnte: in einer noch stärkeren Bewusstmachung, dass die Festspiele im Hier und Jetzt stattfinden, dass sie kein Aufruf zum Eskapismus sind, sondern mit unserem Leben, unserer Existenz zu tun haben.

Ö1: Da drängt sich natürlich die leidige Frage nach dem Fliegen auf.

Markus Hinterhäuser: Das kann ich nicht beantworten. Das sind Dinge, die nicht von den Festspielen erledigt werden können, das sind ökonomisch-politische Entscheidungen. Jeder einzelne sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass er nicht nur für sich Verantwortung trägt, sondern auch für die Welt, in der er lebt, und die ein Recht darauf hat, dass man mit ihr rücksichtsvoll, im besten Fall liebevoll umgeht.

Ö1: Unbestritten ist, dass die Festspiele als größtes und berühmtestes Festival der Welt Vorbildwirkung haben. Wenn Daniel Barenboim in Salzburg auftritt, dann hat das neben der künstlerischen Strahlkraft natürlich auch eine politische und humanistische Symbolkraft. Verhält es sich nicht auch so in der Sponsorenwahl?

Markus Hinterhäuser: Da gibt es fast schon Pawlow’sche Reflexe gegenüber Aktivitäten, die mit Sponsoring zu tun haben. Aber gar so einfach läuft das alles nicht ab. Wir denken kontinuierlich über Fragen des Sponsorings nach und ohne Übertreibung: Wir sind so achtsam, wie wir irgendwie sein können. Die Salzburger Festspiele sind, verglichen mit anderen großen Kulturinstitutionen, kein hochsubventioniertes Festival. Wir haben eine für uns existenziell wichtige Subventionierung, die allerdings nicht mehr als ein Viertel des gesamten Etats ausmacht. Wir sind also sehr abhängig vom Kartenverkauf und von der Lukrierung von sogenannten Drittmitteln.

Ö1: Das 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele im Jahr 2020 sollte auch den krönenden Abschluss der Präsidentschaft von Frau Dr. Helga Rabl-Stadler markieren. Corona-bedingt wurde der Abschied hinausgezögert, ein genannter Grund war auch die wunderbare Zusammenarbeit mit Ihnen. In der Tat wirken die Harmonie und Einigkeit zwischen Ihnen fast schon ein wenig kitschig.

Markus Hinterhäuser (lacht): naja, wir haben schon unsere Auseinandersetzungen.

Aber grundsätzlich ist da Respekt, Freundschaft und eine große Achtung vor dem, was Helga Rabl-Stadler für die Salzburger Festspiele getan hat. Ein Viertel der Festspielgeschichte hat sie mitgeschrieben – chapeau! Das ist eine wirklich vergleichslose Lebensleistung. Wir beide wissen, was wir können und wir beide wissen, wo unsere Räume sind, in denen wir uns bewegen. Es ist eine ziemlich ideale Form der Zusammenarbeit, ohne Eifersüchteleien, ohne lächerlichen Kleinkram.

Ö1: Wie oft wird denn noch versucht werden, Frau Dr. Rabl Stadler zu überreden, zu verlängern?

Markus Hinterhäuser: Die Entscheidung ist wohl gefallen. Es wird tatsächlich ihr letzter Festspielsommer sein, obwohl es für mich natürlich wunderbar wäre, wenn sie so lange bliebe wie ich, nämlich bis 2026 (schmunzelt). Der Einschnitt, wenn Helga Rabl-Stadler nicht mehr Präsidentin ist, der wird groß sein.

Ö1: Was sind die wichtigsten Eigenschaften für die Nachfolgerin oder den Nachfolger?

Markus Hinterhäuser: Voraussetzung für diese Arbeit ist eine große Empathie zu dem, was die Festspiele sind und was sie möglich machen. Man wird nicht umhinkommen, sich ernste und tiefe Gedanken über dieses Amt zu machen. Den Phänotyp Helga Rabl-Stadler, den findet man bestimmt kein zweites Mal.

Ö1: Herr Hinterhäuser, Sie sind bei den Salzburger Festspielen als Künstler und Kulturmanager gleichermaßen präsent. Wie schaffen Sie das?

Markus Hinterhäuser: “Kulturmanager“ ist eine Begrifflichkeit, mit der ich nicht wirklich etwas anfangen kann. Das ist jetzt nichts Snobistisches oder Altmodisches, aber: kann man Kultur managen? Ich empfinde das, was ich in Salzburg mache, in hohem Maße als eine künstlerische Aufgabe.
Wenn ich als Pianist auftrete, dann nur mit Freunden wie Matthias Goerne oder Igor Levit. Ich glaube, dass ich eine ganz gute Selbsteinschätzung habe, was möglich ist.

Ö1: Ihre derzeitige Arbeit gleicht einem Balanceakt zwischen Unmöglichem und Realisierbarem. Wie allein fühlen Sie sich dabei?

Markus Hinterhäuser: Meine, unsere Arbeit bei den Festspielen erfordert in dieser Situation einen klugen Pragmatismus, der manchmal viel Kraft und Zuversicht erfordert. Allein fühle ich mich überhaupt nicht. Ich habe bei den Festspielen eine fantastische Struktur, wunderbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr für die Sache arbeiten. Und bis jetzt haben wir das ja ganz gut geschafft.

Ö1: Wie lange wird dieser Zustand noch andauern?

Markus Hinterhäuser: Ich bin kein Orakel. Ich hoffe, es wird sich bis zum Sommer einiges zum Besseren wenden, die Bewältigung der Pandemie wird uns allerdings noch Jahre beschäftigen.

Ö1: Wird es eine künstlerische Aufarbeitung von Corona geben?

Markus Hinterhäuser: Wie sollte die denn aussehen? Soll ich jetzt Werke in Auftrag geben, die Corona zum Thema haben? Diese Form der Anlassprogrammierung wäre mir zu bescheiden. Man wird und muss andere Wege finden, mit diesem Thema umzugehen.

Das Interview mit Markus Hinterhäuser hat Gerti Mittermeyer, Leiterin der Ö1 Redaktion im ORF-Landesstudio Salzburg, am 4. Mai 2021 geführt.