Portrait von Morton Feldman um 1976.

WIKIMEDIA/CC0

Salzburger Festspiele

"Neither" mit dem RSO Wien

Das RSO Wien spielt Morton Feldmans "Neither" bei den Salzburger Festspielen

Morton Feldman zählt neben Charles Ives, John Cage und dem jüngst verstorbenen Frederic Rzewski zu jenen amerikanischen Komponisten, die ein Werk von größtem Eigensinn schufen. Fast scheint es, als habe gerade das Fehlen klassischer Ausbildung eine derart individuelle Tonsprache ermöglicht, ganz sicher aber ist, dass die Offenheit für eine Welt jenseits der Musik Feldman zu Neuem inspirierte. 1950 hatte der 24-jährige New Yorker John Cage kennengelernt.

Wider Klischees

Cage brachte ihn mit mehr Malern als Musikern zusammen, und so lernte Feldman viel von den abstrakten Gemälden eines Mark Rothko, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg und Philip Guston, wenig von der westeuropäischen Avantgarde. Auch die Künste türkischer Teppichknüpfer regten ihn an, und wer weiß, am Ende mochte er auch aus dem Textilgeschäft seines aus Kiew stammenden Vaters, in dem er bis weit in die 1960er Jahre hinein arbeitete, künstlerisches Kapital geschlagen haben.

Die Beziehungen zu den Komponistenkollegen kühlten ab. Während Cage auf die Befreiung der Interpret/innen abzielte, bemerkte Feldman, dass Musiker/innen Klischees replizieren, wenn man ihnen nicht genau vorschreibt, was zu tun ist. Karlheinz Stockhausen gab er den schnippischen Ratschlag, den Klängen keine hyperkomplexen Systeme überzustülpen, sondern sie einfach in Frieden zu lassen.

Edgar Varèses Ratschlag

Schließlich haderte er mit der in den Konzertsälen der Welt präferierten 25-Minuten-Länge für ein Stück Neuer Musik, weil das den Klängen eine Form verordne, wo es doch darum gehe, sie unangetastet in den Raum zu stellen. Werke bis zu fünfeinhalb Stunden (Zweites Streichquartett) waren die Folge.

Bei all dem orientierte sich Feldman am Ratschlag des einzigen Komponisten, zu dem er zeit seines Lebens aufschaute: Edgar Varèse. Er solle "an die Zeit denken, die die Musik braucht, um in den Zuschauerraum und wieder zurück auf die Bühne zu kommen". Um im Bild zu bleiben: Die Musik von Morton Feldman schlendert durch den Zuschauerraum von einem zur anderen, sie verweilt, sie atmet ein und aus, und sie verwandelt sich ständig. Von der Minimal Music unterscheidet sie die offene, schwebende, nicht tonale Harmonik, von "Meditationsmusik" die gestalterische Ernsthaftigkeit des Komponisten.

Namenlose Heimat

1977 wurde in Rom "Neither", Feldmans einzige Oper, uraufgeführt. Feldman hatte zuvor bei einem Theaterabend in Berlin den Librettisten kennengelernt: Samuel Beckett. Obwohl der hagere Ire und der korpulente Amerikaner der Operngattung reserviert gegenüberstanden, verabredeten sie doch eine Zusammenarbeit. Und so erhielt Feldman nach einigem Warten 16 Zeilen, ganze 87 Wörter aus der Feder Becketts: das Libretto zu "Neither".

Wortkarg raunt Beckett über zwei Türen, die sich schließen, wenn man sich ihnen nähert, und öffnen, wenn man sich von ihnen entfernt. Feldman: "Das Thema der Oper ist, dass unser Leben von allen Seiten von Schatten umgeben ist. Da wir aber nicht in den Schatten hineinsehen können, geht unsere Existenz nur bis dorthin, und wir schwanken zwischen den Schatten des Lebens und des Todes." Namenlose Heimat, "unspeakable home" - so nennt Beckett am Ende dieses Zwischenreich.

Kurzfristige Besetzungsänderung

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und die Sopranistin Sarah Aristidou sollten ursprünglich unter der Leitung des Dirigenten Ilan Volkov "Neither" von Morton Feldman aufführen. Ilan Volkov musste aufgrund eines plötzlichen familiären Todesfalls die Proben in Wien abbrechen und sein Dirigat leider zurücklegen. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und die Salzburger Festspiele sind dankbar, dass sich Roland Kluttig kurzfristig bereit erklärt hat, das Konzert ohne Programmänderung zu übernehmen.

Das Konzert, das bereits im Vorjahr hätte stattfinden sollen, ging am 13. August 2021 bei den Salzburger Festspielen über die Bühne

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien

Service

RSO Wien