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Logos
Nahtoderfahrungen auf der Spur
Viele Menschen, die im Sterben waren, aber nochmals in dieses Leben "zurückgeholt" werden konnten und eine sogenannte "Nahtoderfahrung" erlebt haben, berichten von Licht, oder einem "Tunnelerlebnis"
20. September 2021, 02:00
Jetzt also trete ich ab, das war tatsächlich mein Gedanke.
"Ich wusste, wenn ich diese Grenze zwischen Dunkelheit und Licht überschreite, gibt es kein Zurück mehr“, sagt der ungarische Schriftsteller und Fotograf Péter Nádas. Vor einigen Jahren hatte er einen Herzinfarkt und machte dabei eine Nahtoderfahrung, die er literarisch in seinem Buch Der eigene Tod verarbeitete.
Menschen, die dem Tod sehr nahe waren und eine sogenannte Nahtoderfahrung gemacht haben, sehen ihre Lebensstationen nochmals wie in einem Zeitraffer. Seit Jahrtausenden sind diese Erlebnisse bekannt, doch eine Erklärung, was dabei mit Körper und Geist tatsächlich passiert, fehlt bis heute. Wie ist Wahrnehmung in einem klinisch toten Zustand möglich? Und was passiert mit dem Geist, wenn der Körper stirbt? Sind Nahtoderfahrungen das letzte Feuerwerk des Gehirns vor seinem Absterben? Oder öffnet sich im Sterbeprozess einen kleinen Türspalt weit der Blick auf eine andere Art der Existenz im Tod?
Ich habe ungefähr fünf Jahre gebraucht, um wieder in der normalen Realität zu landen.
„Ich würde sagen, eine Nahtoderfahrung ist eine außergewöhnliche Erfahrung, ein außergewöhnlicher Bewusstseinszustand, in dem der Mensch kognitive Fähigkeiten hat, die außerhalb des normalen Bewusstseins sind und die von einer derart verändernden Kraft sind, dass sie die Persönlichkeit und den Charakter dauerhaft ändern“, sagt der Jesuit und Philosoph Godehard Brüntrup. Vor Jahren hatte er selbst eine Nahtoderfahrung. Seitdem beschäftigt er sich mit diesem Phänomen: „Ich habe ungefähr fünf Jahre gebraucht, um wieder in der normalen Realität zu landen. Man ist voll und ganz da, man ist ja nicht irgendwie lebensmüde oder verrückt geworden, man ist vollkommen da in der normalen Realität, und auch gerne da, und hat trotzdem immer gleichzeitig das Gefühl: Ich bin im falschen Film.“
Ich habe die Angst vor dem Tod komplett verloren.
Karoline Thaler hat für diese Logos-Sendung Medizinerinnen und Mediziner, Philosophen und Theologen ausgewählt, aber auch jene Menschen kommen zu Wort, die eine solche Erfahrung gemacht haben. Wie zum Beispiel der deutsche Theologe Albert Biesinger, der während einer scheinbar harmlosen Routineoperation eine Nahtoderfahrung hatte, die seine Einstellung zum Tod grundlegend geändert hat: „Ich sitze oft als Diakon am Bett von sterbenden Menschen, und da hilft mir meine Nahtoderfahrung. Ich habe die Angst vor dem Tod komplett verloren. Ich habe noch Respekt vor dem Sterben, denn man weiß nie, über welche Krankheit der Sterbeprozess geht. Aber wenn der Sterbeprozess vorbei ist und der Tod kommt, da erwarte ich dann wieder das große Glück.“
Seit jeher beschäftigt das Leib-Seele-Problem die Menschheit. Und nach wie vor steht die Medizin vor einer Herausforderung. Zählt nur das, was auch naturwissenschaftlich belegt werden kann? „Wie viele Gramm wiegt ein Stück Liebe? Wie viele Zentimeter hat Vertrauen? Die wichtigsten Phänomene können wir nicht messen. Aber wir sind so naturwissenschaftlich gedrillt, dass wir sagen, nur das, was messbar ist, existiert“, sagt der Pharmazeut, Mediziner und Theologe Matthias Beck.
Der immaterielle Geist hat keine Ausdehnung. Der ist unendlich.
„Der größere Teil der Welt ist aber nicht messbar. Liebe, Vertrauen, Ewigkeit. Alle Geisteswissenschaften sind nicht messbar. Ich habe kein Labor, kein Zentimetermaß. Ein Gedanke hat keine Ausdehnung. Mein Gehirn wiegt 1,5 Kilogramm, und mein Gedanke wiegt nichts. Das ist doch interessant. Also müssen wir unterscheiden zwischen dem materiellen Gehirn und dem immateriellen Geist. Und der immaterielle Geist hat keine Ausdehnung. Der ist unendlich.“
In Österreich sind Nahtoderfahrungen noch immer ein großes Tabu und werden aufgrund fehlender wissenschaftlicher Ergebnisse von vielen angezweifelt. Auch für diese Sendung war keine der angefragten Frauen bereit, öffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen. Zu groß ist nach wie vor die Angst, nicht ernst genommen oder belächelt zu werden.
Warum ist der Umgang mit Nahtoderfahrungen so schwer? Warum polarisieren sie nach wie vor? Noch, so scheint es, fehlt ein angemessener Umgang mit diesem Phänomen: ohne Diskriminierung und ohne Idealisierung.
Gestaltung: Karoline Thaler