Straßen in Manhattan nach 9/11

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Tao

Der Wendepunkt - Islam nach 9/11

Über innerislamische Prozesse, die durch 9/11 beschleunigt oder gebremst wurden.

"Wie können Muslime, die sich ausdrücklich auf den Islam berufen, eine solche Tat verüben?" Diese Frage müsse man sich immer wieder ehrlich stellen, auch auf theologischer Ebene, sagt Carla Amina Baghajati, Mitgründerin der Initiative muslimischer Österreicher/innen.

Eine Gruppe von Al-Qaida-Terroristen entführt vier Passagierflugzeuge und trifft damit das Herz der USA, das World Trade Center und das Pentagon. Die Anschläge werden als terroristischer Massenmord eingestuft, der 11. September 2001 wird damit wohl für die Ewigkeit markiert. Das Kürzel 9/11 beschreibt seit mittlerweile 20 Jahren einen Wendepunkt in der Geschichte, der Islamwissenschaftler und Schriftsteller Stefan Weidner spricht in diesem Zusammenhang von der "Geburt der Gegenwart".

Auch in der islamischen Geschichte und in der Geschichte des interreligiösen Dialogs war dieser Tag ein Wendepunkt und gewissermaßen ein "Point of no Return". Die Ideologie des islamistischen Terrornetzwerks Al-Qaida unter der Führung von Osama bin Laden und die Reaktion des sogenannten Westens, vor allem George W. Bushs "War on Terror", prägten viele Entwicklungen in unterschiedlichsten islamischen Kontexten maßgeblich.

Gewaltpotential einer Religion

Der Soziologe und Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide meint, Musliminnen und Muslime weltweit seien durch die Anschläge des 11. September gezwungen (worden), sich mit dem Gewaltpotenzial ihrer Religion auseinanderzusetzen, viele von ihnen erstmals in dieser Intensität.

Lang, über Jahre habe man von muslimischer Seite mit dem Reflex und dem Argument reagiert, das habe mit dem Islam nichts zu tun, und Attentäter seien keine wahren Muslime, erklärt die damalige Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich, Carla Amina Baghajati. Heute, nach weiteren islamistischen Anschlägen einerseits und Jahrzehnten der wachsenden, teilweise auch geschürten Islamfeindlichkeit andererseits, würde sie das differenzierter betrachten und ausdrücken.

Carla Amina Baghajati

Carla Amina Baghajati

APA/GEORG HOCHMUTH

Feindbilder und Opfernarrative

Mit einem Schlag wurde nicht nur sie, die nach den Attentaten unzählige Interviews geben musste, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Oft war sie aufgefordert, für viele Menschen neue, islamische Begriffe wie "Dschihad" zu erklären. Es kam zu einer Sensibilisierung der Gesellschaft rund um das Thema Islam. Und damit stieg der Rechtfertigungsdruck für Musliminnen und Muslime, vor allem in Europa und in den USA.

Durch den sogenannten "War on Terror", etwa in Afghanistan und im Irak, "konnten sich in islamischen Gesellschaften und auch unter Musliminnen und Muslimen im Westen Feindbilder und Opfernarrative verstärken und festigen", so Mouhanad Khorchide. "Gerade die Reaktion der westlichen Mächte auf 9/11 hat so viele islamistische, extremistische Strömungen hervorgebracht wie nie zuvor."

Polarisierung und Dialog

Der gewaltbereite Salafismus wurde erst nach 2001 global so richtig bekannt, der sogenannte "Homegrown Terrorism" wurde erst durch die Entwicklungen nach 9/11 und durch die Neuen Medien möglich. Langfristig haben die Ereignisse am und nach dem 11. September eine starke Polarisierung der islamischen Positionen mit sich gebracht. Auch progressive Theologien seien entstanden, so Khorchide, sie hätten es aber immer noch nicht in den Mainstream der islamischen Communitys geschafft.

DemonstrantInnen

APA/HELMUT FOHRINGER

In den Jahren nach 9/11 ist eine Reihe von Dialogveranstaltungen initiiert worden. "Österreich hat hier mitunter eine Vorreiterrolle eingenommen", sagt Baghajati. In den vergangenen Jahren seien viele aber dialogmüde geworden, rechte Politik und ein Anschlag im eigenen Land machten die Situation definitiv nicht einfacher. Ohne Dialog werde es aber nicht gehen, sind sowohl Baghajati als auch Khorchide überzeugt.

"Tao" versucht nachzuzeichnen, wie sich die Anschläge von 2001 und die Reaktion darauf auf den Islam sowie auf Musliminnen und Muslime ausgewirkt haben.

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