Menschen überqueren eine Straße - Zebrastreifen, Naschmarkt

STADT WIEN MA18/CHRISTIAN FÜRTHNER

"Strategien des Wandels"

Festival urbanize! startet

Urbanize! heißt ein internationales Festival für urbane Erkundungen, das von 6. bis zum 10. Oktober zum zwölften Mal stattfindet, wie immer in Wien. Veranstaltet wird es von den Herausgebern des Magazins für Stadtforschung "dérive", die diesmal versuchen, die Philosophie und die Ideen der Pariser Commune mit der urbanen Gegenwart abzugleichen und daraus Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Eine zentrale Frage dabei: Welche Rolle spielt der urbane Raum für gesellschaftliche Erneuerung?

Das Festival findet jedes Mal an einem anderen Ort als im Vorjahr. Heuer ist die Festivalzentrale auf dem Gelände des Nordwestbahnhofes. Dort befand sich in der Monarchie einer der großen Wiener Kopfbahnhöfe - jetzt ist es eines der größten innerstädtischen Stadtentwicklungsgebiete, das derzeit noch für Logistik und Gewerbe genutzt wird, bevor Wohnraum für 15.000 Menschen geschaffen wird. Der Baubeginn wurde oft verschoben, jetzt ist er für 2024 angesetzt.

Ein historisch aufgeladenes Gebiet, dem ein tiefgreifender Wandel bevorsteht also - dazu passend ist das heurige Festivalthema "Strategien des Wandels". Eine Neuausrichtung der urbanen Gesellschaft soll diskutiert werden - nicht nur in Vorträgen und Gesprächen, sondern auch in Stadtführungen und Workshops. "Uns hat immer interessiert, verschiedene Zielgruppen zu erreichen", erklärt Christoph Laimer vom urbanize!-Kuratorenteam, "daher haben wir jedes Mal sehr unterschiedliche Formate, auch mit niedrigen Zugangsschwellen. Oft sitzen ja im Publikum Leute, die viel wissen über das Thema, und es ist gut, wenn sie sich einbringen können.

Frauen mit Megafonen

Auf dem Programm steht zum Beispiel eine Stadtführung zum Einfluss von Revolten, Aufständen und Revolutionen auf die Stadtplanung, eine Diskussion über soziale Bewegungen in Dakar, Mexiko City und Tiflis, oder auch eine Performance der Sirenen: Das sind sechs Frauen mit Megafonen. Gesprochen, gesungen und skandiert werden Aussagen von Menschen, die in Wien schlecht oder gar nicht bezahlte Fürsorge-Arbeit leisten, also Mütter und Väter, Pädagoginnen, Pflegekräfte und Haushaltshilfen. Menschen, deren Stimmen sonst kaum gehört werden und hier verstärkt in den Stadtraum getragen werden. Konkret: am Sonntag, den 10. Oktober, auf dem Wallensteinplatz in der Brigittenau.

"Ausgangspunkt war für uns der Gedanke, dass die Pandemie wie ein Verstärker funktioniert, dass soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten verschärft, wahrnehmbar sind und stärker werden", so Sylvi Kretzschmar von der Performance-Chor-Gruppe Sirenen. Frauenstimmen im Stadtraum, über Megafone verstärkt, das hört man eher selten, und viele gleichzeitig noch weniger. "Das ist eine choreografische Arbeit, eine sehr ungewöhnliche Form von politischer Rede, würde ich sagen, weil wir eben nicht selber sprechen, sondern wirklich wiedergeben, was die von uns Interviewten gesagt haben. Wir sprechen oder singen die Aussagen wortwörtlich nach."

Die Nachwirkungen der Commune

Vor 150 Jahren fand der erste große, dezidiert urbane Aufstand statt - die Pariser Commune. Obwohl sie nur kurz bestand und von der französischen Armee brutal niedergeschlagen wurde, haben ihre Ideen Nachklang bis heute, meint Christoph Laimer. Es geht um die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, um die Demokratisierung des Lebens in der Stadt.

"Was kann es heute heißen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu stellen, gegen die Entwicklungen, dass Bewohnerinnen der Stadt zunehmend verdrängt und ihre Lebensbedingungen verschlechtert wurden?", so Laimer. Gerade in den letzten Jahren seien sehr viele Widerstands- und Gegenbewegungen entstanden, die das Recht auf Stadt und leistbaren, sozialen Wohnraum einfordern. "Es gibt die sogenannte munizipalistische Bewegung, die in Städten wie Paris oder zuletzt in Zagreb Bürgerplattform als Parteien konstituiert haben und zum Teil sehr erfolgreich waren. Der neue Bürgermeister von Zagreb ist zum Beispiel Teil der munizipalistischen Bewegung. Die Bürgermeisterin von Barcelona ist Teil davon. Es gibt viele, ganz unterschiedliche Herangehensweisen, die wir uns beim Festival genauer anschauen."

Munizipalistisches Netzwerk

Wenn die Stadtbewohner und -benutzerinnen sich aus ihrem eigenen Lebensumfeld heraus engagieren, an der Gestaltung der Stadt aktiv teilnehmen und ihre Ideen durch den Schulterschluss mit Netzwerken umzusetzen suchen, dann spricht man von der munizipalistischen Bewegung. Eine Vertreterin dieser zivilgesellschaftlichen Bewegung, die spanische Architektin und Stadtplanerin Ana Méndez de Andés, ist gleich morgen, am Eröffnungsabend zu Gast; sie wird über die Bürger- und Bürgerinnenplattform Ahora Madrid und das European Municipalist Network berichten. Ort der Eröffnung ist die Festivalzentrale am Nordwestbahnhof, und auch dieses Areal kann beim urbanize!-Festival erkundet werden.

Service

urbanize! 2021
Tracing Spaces - Stadt in Bewegung

Gestaltung

  • Anna Soucek