Wolken

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Roman von Anthony Doerr

"Wolkenkuckucksland"

Sieben Jahre hat der Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr an seinem neuen Roman gearbeitet. Nun ist die komplexe, 530 Seiten starke Hommage an das Lesen, die Fiktion und die Bibliothek in deutscher Übersetzung erschienen. Darin führt Doerr die Geschichten mehrerer Jugendlicher auf unterschiedlichen Zeitebenen zusammen.

Der Titel mag irritieren und manche schon an einen peinlichen Übersetzungsfehler (Original: "Cloud Cuckoo Land", Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence) denken lassen. Doch nein, hinter dem deutschen Titel stecken eine lange Diskussion und eine bewusste Entscheidung, verrät Martin Hielscher, Lektor und Belletristik-Programmleiter beim C.H. Beck Verlag: "Der Begriff stammt ja aus Aristophanes' Komödie 'Die Vögel' und bezeichnet ein utopisches Land in den Wolken, wo die Vögel wohnen und alles besser ist als bei den Menschen. Es gab früher einmal eine Übersetzung des Begriffs mit 'Wolkenkuckucksland', und Schopenhauer hat ihn mit 'Wolkenkuckucksheim' übersetzt, was aber einen leicht pejorativen Beigeschmack hat. Darum geht es Doerr aber nicht."

Denn bei ihm stehe tatsächlich der utopische Sehnsuchts- und Zufluchtsort im Zentrum, der den fünf Protagonisten dieses Romans Hoffnung und Lebensmut gibt, gerade als sie ihn am notwendigsten brauchen.

Fünf Kinder, drei Epochen und ein Buchfragment

Fünf Kinder stehen in unterschiedlichen Epochen an der Schwelle zum Erwachsenwerden und zugleich vor den Trümmern ihrer Existenzen, die durch Krieg, Gewalt oder Umweltzerstörung vernichtet wurde. Anna und Omeir 1453 kurz vor der Eroberung Konstantinopels, Zeno und Seymour in der Kleinstadt Lakeport in Idaho - der eine im Zweiten Weltkrieg und später als Soldat im Koreakrieg, der andere als radikaler Umweltaktivist und Terrorist in den 2010er Jahren. Und Konstance steuert nach der Zerstörung der Erde im Raumschiff Argos durch die aussichtslose Zukunft.

"Ich versuche immer, mit den Leserinnen und Lesern zu spielen", Anthony Doerr

Gerade als die Verzweiflung am größten ist, fällt jeder Figur durch Zufall dasselbe rätselhafte Manuskript in die Hände: ein Romanfragment des antiken griechischen Dichters Antonios Diogenes, überliefert in 24 Tafeln, übersetzt von Zeno Ninis, der als jugendlicher Soldat im Koreakrieg die Liebe zur Altphilologie und zu einem Altphilologen fand.

Buchumschlag

C. H. BECK

Die Fiktion der Fiktion der Fiktion

Dass das Romanfragment reine Erfindung - ein Fantasieprodukt Anthony Doerrs ist, gehört zu den literarischen Lieblingsspielen des Autors. "Ich versuche immer, mit den Leserinnen und Lesern zu spielen und zu sagen: Ja, wir wissen, das stimmt nicht, aber wir spielen trotzdem mit. Ich liebe die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Bücher in Büchern, Puzzles in Puzzles", meinte ein sichtlich euphorisierter Doerr bei der virtuellen Buchpräsentation.

Mit stürmischer Erzählwut taucht er abwechselnd in die Lebenswelten der einzelnen Figuren ein, ein Cliffhänger löst den nächsten ab und erst spät wird klar, wie die einzelnen Handlungsstränge vom 15. Jahrhundert bis in die Zukunft durch das antike Buchfragment zusammenfinden und in Verbindung stehen.

Ein neuer Weltbestseller?

Wer eine gewisse Durststrecke im Mittelteil des Romans überwindet, wird mit einem komplexen, faszinierenden Werk über die Ausmaße der menschlichen Liebe und Zerstörungswut belohnt. Und mit einer innigen Hommage an die Bücherei, an das Lesen und an die Wirkmacht der kleinen schwarzen Zeichen auf weißem Papier, die den Autor bis heute bezaubert, wie er erzählt: "Schon als Kind wollte ich das einmal machen: Mit kleinen schwarzen Zeichen auf weißem Papier eine Geschichte erzählen. Ich fühle mich wirklich privilegiert, dass ich das zum Beruf habe."

Gut möglich, dass dieser privilegierte Beruf auch diesmal einen Weltbestseller hervorgebracht hat.

Service

Anthony Doerr, "Wolkenkuckucksland", Roman, aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence, C.H.Beck. Originaltitel: "Cloud Cuckoo Land"

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