Zerbrochener Plastikschwan

APA/DPA/FRANK RUMPENHORST

Thomas von Steinaecker

"Ende Offen"

Die Geschichte der Kunst ist auch eine Geschichte des Scheiterns, denn nicht selten starben geplante Projekte vor ihrer Vollendung, manchmal zusammen mit ihren Schöpfern. Der deutsche Schriftsteller Thomas von Steinaecker hat in seinem Buch "Ende Offen" unvollendete Werke bekannter Größen - von Thomas Bernhard bis zum Beach Boy Brian Wilson - ausgegraben.

Samuel Becketts berühmtes Diktum "Immer gescheitert. Egal, versuche es wieder, scheitere wieder, scheitere besser", steht als Anfangszitat im Buch, und Thomas von Steinaecker lässt dem gleich ein Manifest des gescheiterten Kunstwerks folgen. Auch wenn ein Projekt nur als Scherbenhaufen existiert, so von Steinaecker, können gerade diese Scherben besonders glänzen.

Glänzende Scherben

"Die Stücke, die dann fertig wurden, enthalten dann oft mehr utopisches oder idealistisches Potenzial als die Kunstwerke, die von Anfang an irgendwie realistisch gedacht wurden." Versucht die Grenzen des Möglichen auszureizen, hat etwa Karlheinz Stockhausen: Bereits mit "Licht" hat er einen Zyklus von sieben Opern komponiert - für jeden Wochentag eine.

"Das nächste naheliegende Projekt war, weil es keine Nummer kleiner ging: vierundzwanzig Stücke für die vierundzwanzig Stunden des Tages", erzählt Thomas von Steinaecker. Dazwischengekommen sei ihm letztlich der Tod. "Wobei sehr seltsam ist, dass das letzte Stück, das 21. von den 24 geplanten Stücken, 'Paradies' heißt."

Thomas Bernhard oder Brian Wilson

Der Tod war er auch, der Thomas Bernhard von der Vollendung eines Romans mit dem Arbeitstitel "Neufundland" abgehalten hat. "Es ist nicht so ganz klar, was der Titel mit dem Inhalt des Romans zu tun gehabt hätte. Insofern wäre es unglaublich spannend gewesen, was da in Neufundland passiert wäre", so von Steinaecker.

Nicht der Tod, sondern sein überzogener Perfektionismus hat Brian Wilson Ende der 60er Jahre von der Vollendung seines Albums "Smile" abgehalten. Seine Beach Boys standen damals im musikalischen Schlagabtausch mit den Beatles. Die hatten mit "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" die Latte so hoch gelegt, dass Brian Wilson sich mit seinen Ansprüchen an "Smile" völlig übernahm. Thomas von Steinaecker: "Das Album wäre so etwas wie ein Gesamtkunstwerk gewesen, eine Reise durch die USA - von der Ostküste zur Westküste, wo auch sämtliche Stile aufgenommen worden wären."

Gaudis Prestigebau in Manhattan

Erst 2004 hat Brian Wilson die bestehenden Stücke doch noch zu einem Album vereint. Die späte Realisierung eines Traumprojekts, die das Schicksal dem Architekten Antoni Gaudí nicht zugestanden hat. Bei ihm hatten 1908 New Yorker Bankiers den Entwurf für einen Prestigebau in Manhattan in Auftrag gegeben. Seine berühmte Sagrada Familia in Barcelona war damals schon seit 26 Jahren in Bau.

"Von diesem ominösen Wolkenkratzer, der fast 400 Meter hoch hätte sein sollen, gibt es tatsächlich nur eine einzige Skizze und der Wolkenkratzer sieht ein bisschen so aus wie die höchsten Türme von der Sagrada Familia."

Erhellend und kurzweilig

Thomas von Steinaecker zeigt in seinem Buch "Ende offen", wie auch im Leben der größten Genies das Scheitern seinen fixen Platz gehabt hat. Das ist erhellend und zusätzlich auch ein kurzweiliges Lesevergnügen, weil von Steinaecker diese nervenaufreibenden Durststrecken mit einfühlsamer Ironie beschreibt.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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