Vilma von Webenau

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Das Ö1 Konzert

Gehört wiederentdeckt: Vilma von Webenaus

Im Jahr 1898 nahm Vilma von Webenau den Unterricht als erste Schülerin Arnold Schönbergs auf. Ihre Stücke für Streichquartett sind lyrische Impressionen, die inspiriert von sommerlichen Blumen Dichtung und Musik verknüpfen. Aus einer anderen Perspektive wird diese Verbindung in den Liedern von Hugo Wolf und Erwin Schulhoff erkundet. Das erste Streichquartett von Schönbergs Freund und Schwager Alexander Zemlinsky beschließt das Konzert mit großem, geradezu symphonischem Bogen.

Ihr Vater war k. u. k. Botschaftsrat, daher erblickte Vilma von Webenau 1875 nicht in Wien, sondern in Konstantinopel das Licht der Welt. Adliger Stammbaum und finanzielle Absicherung erlaubten, dass sich Vilma der Musik verschrieb - dem Vorbild der Großmutter Julie Weber, Edle von Webenau, folgend, einer Schülerin von Mozarts Sohn Franz Xaver.

Die Eltern spendierten der begabten Tochter Klavierstunden bei Cäcilia Frank, die im ersten Wiener Gemeindebezirk einen legendären Salon unterhielt und als Pianistin bei den Streichquartetten Hellmesberger und Rosé aushalf. 1898 wurde Vilma von Webenau die erste Privatschülerin Schönbergs, und blieb es drei Jahre.

Schönbergs Schülerinnen wurden vergessen

Es hätte eine Karriere werden können. Doch als Vilma von Webenau 1953 bitterarm im Wiener Wilhelminenspital verschied, wusste niemand mehr von ihren Streichquartetten, Liedern, Symphonien, Balletten, Opern und Singspielen. Sie hinterließ rund 100 Werke.

Von allen Schüler/innen, denen Arnold Schönberg Unterricht gab - ob privat oder an Lehrinstituten in Berlin, Wien und Los Angeles -, hat sich nur eine Handvoll im Konzertrepertoire halten können, und keine zwei Dutzend erfreuen sich einiger Bekanntschaft in Insider-Kreisen (Herschkowitz, Koffler, Zillig etc.). Niemand aber wurde so gründlich vergessen wie seine Schülerinnen, selbst wenn sie, wie Vilma von Webenau, lange Jahre Kontakt zu ihrem Lehrer hielten. Allein in Wien zählt man heute rund 50 Schülerinnen.

Aus nächster Nähe: Webenau, Wolf, Schulhoff und Zemlinsky

Die Kammerkonzertreihe „Aus nächster Nähe“ des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien stellt nun ein Werk der Komponistin ins Rampenlicht. In Webenaus Sommerliedern gesellt sich zum Streichquartett eine Sprechstimme, eine für die Experimentierlust des Fin de Siècle typische Kombination.

Es war gerade die Dichtung, die im Wien jener Jahre Komponistinnen und Komponisten den nötigen Mut gab, künstlerisch zu neuen Ufern aufzubrechen. Hugo Wolf etwa berauschte sich an Eduard Mörike, dem er sich in „Freundschaft nach dem Tode“ verbunden fühlte. In nur wenigen Jahren vertonte Wolf rund ein Fünftel aller Gedichte Mörikes und bewahrte den Dichter so vor dem Achselzucken der Nachwelt. Der deutsche Komponist Stefan Heucke hat sieben Lieder Wolfs für Streichquartett und Sopran gesetzt und sie damit für den Konzertsaal geöffnet.

Wie Wolf war auch Alexander Zemlinsky, geboren vor 150 Jahren und Kompositionslehrer Schönbergs, ein begnadeter Komponist von Klavierliedern, wenn auch Zemlinsky textlich und musikalisch ein breiteres Spektrum abdeckt. Schicksalhaft wurde beider Beziehung zu Johannes Brahms, der unangefochtenen Personifizierung des Konservatismus in Wien. Wolf entwickelte eine Phobie gegen Brahms, Ausgangspunkt einer geistigen Zerrüttung, die den Komponisten vernichten sollte; Zemlinsky verehrte ihn. Sein erstes Streichquartett op. 4, noch zu Brahms’ Lebzeiten 1896 entstanden, bezeugt diese Verehrung ohne Epigonentum. Erst Brahms’ hohe Kunst der motivischen Arbeit ermöglichte es Zemlinsky, seinen eigenen Weg zu gehen.

Der jüngste Komponist in diesem entdeckungsfreudigen Kammerkonzert im Arnold Schönberg Center ist Erwin Schulhoff, der in der Aufbruchsstimmung der 1920er Jahre zunächst mit dem Jazz flirtete, bevor er sich der kommunistischen Bewegung anschloss. 1936 entstanden seine Tři skladby (Drei Werke): ein Wiegenlied, die Begegnung mit einem Bettler, bei der die Sopranistin zur Sprechstimme der Jahrhundertwende zurückkehrt, und eine Hommage auf das Radio, in dem die Tři skladby auch uraufgeführt wurden - Nebengeräusche inklusive.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO Wien