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Moment am Sonntag
Das Wunder des Staunens
Kinder sind Meister des Staunens. Wann verlieren oder verstecken sie diese Fähigkeit? Viele Erwachsene scheint kaum mehr etwas ins Staunen zu versetzen. Wie bewahrt man sich - fröhliches - Staunen? Kann man zu viel wissen, um nicht zu staunen? Lässt sich Staunen neu lernen? Gespräche mit Staunenden aller Art.
23. Jänner 2022, 02:00
Die Kinder. Sind Weltmeister im Staunen. Stimmt´s? Was jetzt wohl kommt? Richtig geraten: Weihnachten. Auf einem Foto, das ein Freund mir gezeigt hat, sieht man ihn, zweijährig und stramm wie ein Zinnsoldat, vorm Christbaum stehen. Mit der schönsten Hose, die sie ihm 1965 angezogen haben. Der Bub steht und schaut und ist - perplex.
Wann er aufgehört hat, zu staunen, ist schwer zu sagen. Mit jedem Jahr mehr. Weihnachten wurde zur Gewohnheit, zumindest fast, und irgendwann war er sich ziemlich sicher: Das komische Kind mit den Flügeln existiert nicht. Ha! Auf diese Enttäuschung hinauf lässt man sich nicht mehr so leicht ein X für ein U vormachen, man geht lieber zum Staunen lieber in den Keller. Es wird „uncool“, verblüfft zu. Ein Sprichwort aus China lautet: Wer wenig gesehen hat, staunt viel.
Schauen als Schlüssel zum Staunen
Aber das Sehen, gemeint ist, das genaue Schauen, ist das nicht der Schlüssel zum Staunen für die Wissenden und Weltgewandten? Könnte man sich auf diese Weise einen Rest kleiner, leiser Freuden zurückholen?
Als ich die ersten Male im Flugzeug saß, wunderte ich mich, dass die Leute Zeitung lasen - gleich nach dem Kofferverstauen. Wir steigen in den Himmel, durchkreuzen die Wolken, gleiten einem orangeroten Sonnenband entlang, und die Dame vor mir studiert die Börsenkurse. Irgendwann wollte ich beim Start auch einmal zur Zeitung greifen, Großformat, und tat so, als ob ich das Brummen und Grollen nicht hörte. Die Maschine wird schneller und schneller, nein, ich merke es nicht, das Bauchkribbeln auch nicht. Oder doch? Ich ermahne mich rechtzeitig und schaue aus dem Fenster: Hey, aufregend!
Die Kunst des Staunens
Staunen gilt als „Kunst“. Die Kunst des Augenblicks. Die Kunst der Achtsamkeit. Die Kunst der Langsamkeit. Anselm Grün, Theologe und Autor zig erbaulicher Bücher, hält all das hoch, um zur Zufriedenheit und zum Staunen zu verhelfen, und er hat bestimmt recht damit. Auch eine Latte von Psychotherapeutinnen arbeitet daran. Denn wer es schafft, dem eigenen Staunen nachzugehen, sogar dem negativen, kommt sich selbst auf die Spur (sagen sie) und wird - zumindest - nicht unglücklicher. Erstaunt?
Wie staunt man, wenn man schon alles erlebt hat?
Das ist auch ein Punkt in Moment am Sonntag am 26. Dezember: Wie kann jemand, der null Bock auf Glücklichsein hat (Pubertät), der depressiv, erschöpft oder resigniert ist, krank oder benachteiligt, dauergrantig und/oder beschwerdesüchtig - wie kann so jemand Lust auf freudiges Staunen bekommen?
Es wäre außerdem zu klären, ob Menschen, die in der Wissenschaft tätig oder sonst wie innovativ sind, Erfinder, Designerinnen, Kunstschaffende - ob sie einen staunenden Charakter haben, von vornherein, und ob sich dieser im Lauf des Berufs verstärkt. Ein Zauberer kommt ebenso vor in der Sendung; er lebt vom Staunen der anderen und baut darauf. Wann hat er genug davon? Zuletzt: Gern würde ich jemanden finden mit 88 oder 99 und im Interview fragen: Wie staunt man, wenn man schon alles erlebt hat?
Gestaltung: Andrea Hauer
Gestaltung
- Andrea Hauer