Bühnenbild, Tosca

MONIKA RITTERSHAUS

Theater an der Wien

Martin Kusejs "Tosca"

Am Ende der Ära Roland Geyer im Theater an der Wien darf noch einmal Burgtheater-Direktor Martin Kusej eine Oper am Haus inszenieren und hat sich für "Tosca" entschieden. Ö1 sendet einen Mitschnitt der Premiere am 5. Februar um 19.30 Uhr.

Die Titelpartie singt die lettische Sopranistin Kristine Opolais. Aufgrund einer Corona-Erkrankung von Dirigent Ingo Metzmacher liegt die musikalische Leitung jetzt beim deutschen Dirigenten Marc Albrecht, der kurzfristig eingesprungen ist, um das RSO Wien zu dirigieren. Die "Tosca", uraufgeführt im Jahr 1900, gehört zu den am häufigsten gespielten Opern des 20. Jahrhunderts - aber so wie jetzt, das garantiert Martin Kusej - hat man sie aber noch nie gesehen.

"Dekonstruktion in der Oper ist möglich"

Vergessen sie Rom im Jahr 1800, vergessen sie die üblichen Schauplätze Kirche, Palazzo und Engelsburg, und alles, was sie je über "Tosca" gehört oder gesehen haben. Denn Martin Kusej machts anders: "Ich bin der Meinung, dass man längst radikal eingreifen muss in die Werke, es gibt Figuren nicht, wir haben Text umgeschrieben, ich wäre gerne noch viel weiter gegangen, aber es ist der erste Schritt, um zu sagen, Dekonstruktion in der Oper ist möglich."

Aber warum soll man die "Tosca", eine der beliebtesten Opern auf den weltweiten Spielplänen, überhaupt dekonstruieren? Kusej: "Weil mich die Handlung, die ich in 125.000 Aufführungen auf der ganzen Welt, seit 120 Jahren gesehen haben könnte, einfach überhaupt nicht mehr interessiert."

Kristine Opolais (Floria Tosca), Jonathan Tetelman (Mario Cavaradossi)

Kristine Opolais (Floria Tosca), Jonathan Tetelman (Mario Cavaradossi)

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Gliedmaßen im Schneegestöber

Also siedelt Kusej seine Inszenierung in einer kalten erbarmungslosen Welt der Zukunft an. In einer unwirtlichen Winterlandschaft baumeln im Schneegestöber menschliche Gliedmaßen an einem Baum, ein kopfloser Torso ist an den Stamm gebunden, gleich daneben ein Marienbild.

Der ausrangierter Campingwagen im Hintergrund wird später den Palazzo Farnese ersetzen, in dem der Polizeichef Scarpia seine Verhöre durchführt und Tosca verspricht, ihren Freund, den von seinen Schergen gefolterten Maler Cavaradossi, der einem Aufständischen zur Flucht verholfen hat, zu verschonen, wenn sie sich ihm hingibt.

Pervertierte Liebe

"Diese Beziehung zwischen Tosca und Scarpia - von der ich schon wusste, dass sie mich interessieren würde - geht so intensiv in eine zerstörerische und pervertierte Liebe, und man merkt, da stimmt einfach gar nichts dran. Das hat mich während der Proben fasziniert und ich hab gedacht, ich folge jetzt einmal diesem Pfad", so der Regisseur.

Kusej fokussiert sein psychologisch fein gearbeitetes und stark gekürztes Kammerspiel auf die drei Hauptfiguren, allen voran auf den sadistisch neurotischen Scarpia, der im weißen Wolfspelz, elegant strahlend und beinah verführerisch die absolute Manipulation verkörpert. Margareth Atwoods "Report einer Magd" habe ihm für sein dystopisches Gesellschaftsbild Pate gestanden.

Christlich manipulative Ideologie

"Eine dystopische zukünftige Gesellschaft, verbrämt mit christlicher manipulativer Ideologie und mittelalterlichen Methoden der menschenverachtenden Folter und der Hinrichtungen, da schließen sich verschiedene Kreise für mich, zusammen mit der Oper von Puccini. Im konkreten Fall geht es so weit, dass ich diese scheinbare männliche Dominanz, so übermächtig zeichne, dass sie bis in die letzte Sekunde ins Werk hineinwirkt, aber dazu müsste ich das Ende spoilern, und das würd‘ ich lieber nicht machen."

Nur so viel sei verraten: Von der Engelsburg stürzt sich diese Tosca in der Schlussszene nicht. Am Ende der von Gewalt, Exekution und Folter geprägten Inszenierung sind alle drei Hauptfiguren tot, als Trost bleibt Puccinis Musik, an der Schwelle zum 20. Jahrhundert komponiert und auf dieses verweisend.

Musikalischer Funkenflug

Dass er Ingo Metzmacher als musikalischen Partner in letzter Sekunde verloren habe, tue ihm sehr leid, so Kusej. "Gleichzeitig ist das brutal wie es ist: The show must go on - und ich muss wirklich sagen, dass mit Marc Albrecht sofort der Funke übergesprungen ist und dass er ähnlich offen ist dafür, wie ich das Stück verstehen möchte."

Wenn der musikalische Funkenflug auf die vor emotionaler Kälte klirrende Inszenierung trifft, dann kommt es zu einer gewaltigen Entladung, die gewohnte Opernsichtweisen zu erschüttern vermag. Nichts weniger hat Kusej mit seiner "Tosca" im Sinn.

Gestaltung