Percival Everett

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Roman

Percival Everetts "Erschütterung"

Die Geschichte eines nerdigen Uniprofessors, ein tragisches Familiendrama und eine wilde Befreiungsaktion, die aus einer Hollywood-Action-Komödie stammen könnte. Im Roman "Erschütterung" des US-Amerikaners Percival Everett kommen die verschiedensten Stimmungslagen zusammen.

Zach Wells ist Paläontologe. Sein Reich ist eine Höhle, in der er nach Spuren aus der geologischen Vergangenheit sucht. Sie war der eine Ort, über den ich mehr wusste als jeder andere, sagt Zach an einer frühen Stelle im Buch.

Die Knöchelchen der Vergangenheit

"Mein Zach Wells sollte einen Job haben, der viel Geduld erfordert", sagt Percival Everett, "und seine Forschung sollte um diese eine Höhle und die Funde dort kreisen. Sein Bild der Vergangenheit sollte aus kleinen Details und winzigen Knöchelchen zusammengesetzt sein."

Zach ist verheiratet und hat eine zwölfjährige Tochter, mit der er gerne Ausflüge unternimmt oder Schach spielt. Bis das Mädchen eines Tages besorgniserregende Symptome entwickelt. Die Ärztin diagnostiziert eine tödliche Krankheit, für Zach bricht eine Welt zusammen und er zieht sich immer weiter in seine wissenschaftliche Arbeit zurück. "Er ist kein Teleskop, sondern ein Mikroskop", so Everett, "keiner, der aus großer Ferne auf die Dinge blickt, sondern aus nächster Nähe. Und indem er sich ganz in seine Arbeit stürzt, hält er die Menschen und die Welt um sich herum auf Distanz."

Hände auf einem graubraunem Buchcover

Percival Everetts Roman "Erschütterung" ist bei Hanser erschienen. Originaltitel: "Telephone".

"Ich bin ein Cowboy"

Das ändert sich, als er im Internet ein Hemd bestellt, und versteckt im Kragen einen Zettel mit einem Hilferuf findet. Seine Recherchen bringen ihn in ein verschlafenes Nest in der Wüste von New Mexico, wo in einer abgelegenen Fabrik mexikanische Frauen als Arbeitssklavinnen gehalten werden.

Deren Befreiung beschreibt Everett im Breitwandformat. Action und Komik gehen dabei Hand in Hand, nicht zuletzt, weil Zach von einem örtlichen Dichterzirkel unterstützt wird. Was in der Wildwest-Atmosphäre auffällt, ist die Intensität, mit der Everett Landschaften beschreibt. "Ich bin ein Cowboy", hat er einmal in einem Interview gesagt: "Ich versuche, so viel Zeit wie möglich in der Natur zu verbringen. Wegen meiner Familie wohne ich mittlerweile in der Stadt, aber davor lebte ich zwölf Jahre auf einer Ranch, trainierte dort neben dem Schreiben Pferde und war die ganze Zeit im Freien."

Von Kierkegaard bis Wittgenstein

Percival Everett, Jahrgang 1956, hat eigentlich Philosophie studiert, in seinen Romanen wird Ludwig Wittgenstein zitiert, der Franzose Roland Barthes hat in einem von Everetts Büchern sogar einen Auftritt. Dem Roman "Erschütterung" ist ein Zitat Sören Kierkegaards vorangestellt:
"Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses tun oder jenes; meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der: tu es oder tu es nicht, beides wird dich verdrießen."

Und so zieht Percival Everett mit Sören Kierkegaard auf dem Beifahrersitz durch den amerikanischen Westen, denn dass von ihm als afroamerikanischem Schriftsteller erwartet wird, sich mit den unter Anführungszeichen "typischen schwarzen Themen" zu beschäftigen, darüber hat er sich schon in seinem 2001 erschienen Roman "Ausradiert" lustig gemacht: "Ich stellte früh fest, dass es keine Romane über Schwarze der Mittelschicht gab. Das Thema war offenbar nicht sexy genug für die Verlage. Man ging immer von der einen bestimmten Erfahrung aus, die man als Schwarzer in den USA machen würde. Was - aus gutem Grund - keiner von einem Weißen erwarten würde."

Drei verschiedene Enden

Percival Everett findet auch, dass ein Buch erst im Kopf des Lesers entsteht, deshalb hat er seinen Roman "Erschütterung" in drei Versionen veröffentlicht. Damit seine Leser, von denen es möglichst viele geben möge, auch gehörig was zu diskutieren haben.

Service

Percival Everett, "Erschütterung", Roman, aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, Hanser. Originaltitel: "Telephone"

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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