Konzentrationslager, Schienen, Gleise, Wachtürme

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Erinnerungsarbeit im Kino und in Serie

"Der schönste Tag" & "Sprich mit mir"

Der 27. Jänner ist der internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, und da startet auch die Dokumentation "Der schönste Tag" in den heimischen Kinos: Es ist schon allein wegen seines Umfangs ein außergewöhnliches Projekt zwischen privater und öffentlicher Erinnerungsarbeit, denn begleitet wird Fabian Eders Film von der 15-teiligen Serie "Sprich mit mir".

Von einem "der schönsten Tage in seinem Leben", sprach der nationalsozialistische und später zwangspensionierte Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz noch in den 1960er Jahren, als er sich an den März 1938, die Rede Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz und den Anschluss Österreichs erinnerte. Die Affäre Borodajkewycz führte zu einer breiten öffentlichen Debatte und zu Demonstrationen, mit denen auch das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik - Ernst Kirchweger - verbunden ist.

Die jüngste Teilnehmerin war zwölf, der älteste 104

Angelehnt an dieses Zitat ist der Titel der Dokumentation von Fabian Eder. "Der schönste Tag" verbindet private Erinnerung mit öffentlicher Erinnerungsarbeit: Zeitzeug/innen und ihre Enkelkinder sitzen sich im Dialog gegenüber, und der Film begleitet die Vorbereitungen auf die neue, im Oktober 2021 eröffnete, österreichische Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz Birkenau, in der - historisch überarbeitet - auch Österreichs Mittäterschaft thematisiert wird. Fünf Jahre lang hat Eder am Projekt gearbeitet und aus der Fülle des Materials zugleich die Serie "Sprich mit mir" realisiert, die in 15 Folgen die Gespräche zwischen den Generationen ausführlich dokumentiert.

"Österreich erstes Opfer"

Der Film beginnt mit einer Demontage: Arbeiter bauen die Ausstellungstafeln der alten, österreichischen Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz Birkenau ab, auf denen geschrieben stand: "11.März 1938: Österreich erstes Opfer des Nationalsozialismus." Dazu sind auf der Tonspur die Rede Hitlers am Wiener Heldenplatz und der Jubel der Massen zu hören.

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März 1938

Die Ausstellung damals wurde von ehemaligen österreichischen Widerstandkämpfern gegen den Nationalsozialismus mitgestaltet. Und dementsprechend wird der Perspektivwechsel im neuen Ausstellungskonzept von deren Hinterbliebenen und Nachfahren skeptisch gesehen. "Ich habe den Eindruck gehabt - und nicht ich allein, sondern viele andere -, dass hier der Tenor nur darauf ausgerichtet ist, Österreich schlecht zu machen und unter dem Titel 'Alle Österreicher waren Verbrecher', die Ausstellung zu gestalten", sagt etwa Gerhard Kastelic, Sohn eines hingerichteten Widerstandskämpfers. Dem hält der Autor und Historiker Doron Rabinovici im Film entgegen: "Wenn du der Meinung bist, Österreich ist das erste Opfer Hitlers, dann muss man die Leichenberge in den Boden stampfen. Es geht nicht anders. Es geht nicht anders. Wenn man schreibt 'Österreich erstes Opfer Hitlers', dann löscht man die Toten noch einmal aus - nach 1945."

Claude Lanzmann

Claude Lanzmann im Ö1 Archiv

Zweiter Weltkrieg

Die Länderausstellung in Auschwitz Birkenau sei in vielerlei Hinsicht ein Ort, an dem unterschiedlichste Narrative und Perspektiven aufeinandertreffen. Das beginne schon damit, dass Österreich überhaupt dort ausstellen darf, so Fabian Eder: "Österreich darf dort ausstellen in diesem Museum in Auschwitz-Birkenau, das aber dem Dogma folgt, dass ein Land nicht ausstellen darf. Das heißt, Deutschland darf dort keine Ausstellung haben."

Als Hitler ihr nicht die Hand gab

Dem Ringen um ein gemeinsames Narrativ für die Neukonzeption der Ausstellung, werden in "Der schönste Tag" dann die unterschiedlichen Perspektiven in den persönlichen Erinnerungen der Zeitzeugen gegenübergestellt. "Wir haben von Anfang an sowohl Mitläufer als auch Opfer-Paarungen für den Film gesucht", erklärt Fabian Eder: "Für mich persönlich ist jeder, der kein Opfer war, ein Mitläufer gewesen."

Zeitzeugen und ihre Enkel im Dialog

Ob ihr die Reichskristallnacht noch etwas sagt, fragt eine Großmutter ihre Enkeltochter, die bejaht. Die Oma erinnert sich an die Mitschülerin, die plötzlich nicht mehr in die Klasse kam und an den Tag, an dem Hitler an ihr vorbeigefahren ist, ohne ihr die Hand zu schütteln. Es sind Erinnerungen an Fluchtgeschichten und an kaum fassbare Momente, wenn eine Frau erzählt, wie ihr Vater die Leichen seiner Eltern eigenhändig begraben musste, und dann später im Film dem Enkelsohn sagt: "Ich habe meine Jugend trotzdem genossen. Ich habe es ja nicht anders gekannt."

Archiv der Erinnerungen

Insgesamt 23 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben sich auf den Aufruf Eders gemeldet, am Projekt teilzunehmen. "Die jüngste Teilnehmerin war zwölf, der älteste 104", so Eder: "Und wie wir das abgedreht hatten, bin ich dann vor dem Material gesessen und habe gedacht, ich muss einen neun-stündigen Film machen. Viele der Zeitzeugen sind ja schon gestorben und das ist das, was von ihnen bleiben wird. Und da kann ich niemanden rausschneiden." Und so sei die Idee zur begleitenden Serie entstanden. Eder hat in die Gespräche nicht eingegriffen und sieht die Serie jetzt als Archiv der Erinnerungen: "Die 15 Folgen haben alle einen ganz eigenen historischen Bezug. Da geht es einmal um polnische Juden, da geht es um die Staatsgründung von Israel, dann um Wiener, die Mitläufer waren. Dann geht es auch um einen Deserteur, der zum ersten Mal mit seinem Enkel tatsächlich ungefiltert sprechen kann. Dieser Dialog zwischen den Zeitzeugen und der Enkelgeneration steht im Mittelpunkt und wird sehr zurückhaltend, aber doch von einem Historiker kontextualisiert."

So schlicht das Setting vor der Kamera ist, wenn Eder vor einer nackten Backsteinwand die Interviews zur Neukonzeption der Ausstellung führt, so schlicht ist auch das Setting, in dem er die Generationen in Dialog treten lässt: ein im Studio nachgebautes Zugabteil, am Fenster fliegt die österreichische Landschaft vorbei. Es sind fast immer die Enkelkinder, die ihren Großeltern gegenübersitzen. Nur einmal ist es der Filmemacher selbst, der einem Zeitzeugen zuhört und nachfragt. Es ist der 2020 verstorbene Aba Lewit, der sich hier erinnert: an seine Deportation, an Mauthausen, an die Konzentrationslager Gusen 1 und Gusen 2, an Folter und Sadismus und an den Tod seiner kleinen Schwester im Ghetto Krakau. Am Ende wird er sagen, dass das, was er im Film erzählt hat, nur zwei Prozent von dem waren, was er tatsächlich erlebt hat.

Filmplakat, Der Schönste Tag

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Zuhören und hinhören

Was fast alle Geschichten in "Der schönste Tag" eint, ist das Schweigen in den Jahren nach dem Krieg. Die Idee, Großeltern mit ihren Enkelkindern sprechen zu lassen, sei unter anderem von der Arbeit der Soziologin Gabriele Rosenthal angestoßen worden, erklärt Eder: "Sie hat unter anderem festgestellt, dass sich die Art und Weise, wie die Zeitzeugen ihren eigenen Kindern erzählt haben, zu der Art, wie sie ihren Enkelkindern erzählen, in Form und Inhalt gravierend unterscheiden. Man muss bedenken: da kommen ungefähr 300.000 Männer zurück nach Österreich. Die meisten von ihnen haben zwei Weltkriege angefangen, haben zwei Weltkriege verloren und sie waren am größten Genozid der Menschheitsgeschichte als Täter beteiligt. Und es gibt auch die Untersuchungen, dass das auf der Opferseite genauso stattgefunden hat, dass nicht darüber gesprochen wurde, weil man einfach einen Weg finden wollte, weiterzuleben."

Beginnt der Film mit der Rede Adolf Hitlers am Wiener Heldenplatz, so endet er mit jener des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky 1991 im österreichischen Parlament, mit seinem Bekenntnis zur österreichischen Mittäterschaft. Eine Rede, als Meilenstein im Bewusstsein um historische Verantwortung, so Fabian Eder: "Und diese Rede zeigt auch, wie unterschiedlich Politiker klingen, wenn sie reden. Und ich glaube, das kann man sich in der heutigen Zeit auch ganz gut anhören, um so ein bisschen eine Orientierung zu kriegen, wem man da eigentlich zuhört."

"Der schönste Tag" ist 2021 bei der Diagonale mit dem Publikumspreis ausgezeichnet worden, jetzt startet die Dokumentation in den heimischen Kinos und auch die Serie wird in Ausschnitten im Kino präsentiert. Zudem ist eine Reihe von Sondervorstellungen und Podiumsdiskussionen in ganz Österreich geplant. Film und Serie können beim Stadtkino Filmverleih für Veranstaltungen und Unterricht gebucht werden.

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