Nikolaus Harnoncourt

LUKAS BECK

Ö1 Podcast

Harnoncourts Klang-Reden

"Musik als Klangrede" heißt Nikolaus Harnoncourts bekanntestes Buch. Noch beeindruckender waren seine mündlichen Vorträge über die Sprache und Aufführungspraxis Alter Musik. Nun sind verschollene Mitschnitte seiner lebhaften Klang-Reden aus den 1970er Jahren wieder aufgetaucht.

Es ist gewissermaßen die Gegenerzählung zum bekannten Märchen: So wie die Bremer Stadtmusikanten ihr eigentliches Ziel Bremen nie erreichten, gelangten die Aufnahmen zahlreicher Workshops, Vorträge und Podiumsdiskussionen von und mit Nikolaus Harnoncourt nie aus Bremen hinaus.

Alice und Nikolaus Harnoncourt

APA/ORF

20 bis 30 Stunden hat der engagierte Radiojournalist Wolfgang Buchner damals, Anfang der 1970er Jahre, mitgeschnitten. Irgendwann geriet der akustische Schatz in Vergessenheit und tauchte erst 2021 als Kiste voller Tonbänder aus Buchers Nachlass wieder auf - frisch und knackig, weder abgestanden noch gealtert. Das befand zumindest Alice Harnoncourt, als sie das Material durchhörte, Notizen machte und beschloss, die Welt sei reif für den ersten Harnoncourt-Podcast.

Die St. Georgener Podcasterin

In ihrem Haus in St. Georgen im Attergau hört, ergänzt und kommentiert die 91-jährige Alice Harnoncourt die Vorträge ihres Mannes von damals und erinnert sich: an die Musik als gemeinsame Obsession seit Studientagen, an 100-Stunden-Arbeitswochen, Konzerttourneen rund um den Globus, und vor allem an die unermüdlichen gemeinsamen Nachforschungen zu Instrumenten und Aufführungspraxis.

Wir hören und sprechen davon, dass die Musik vor dem 18. Jahrhundert nicht "mit dem breiten Pinsel malt", sondern "erzählt", oder davon, wie wenig ein "schwarzer Knödel mit einem Hals dran" (Harnoncourts Fachterminus für Note) die musikalische Intention des Komponisten wiedergeben kann und wie man dieses Manko tilgt.

Die Leidenschaft des Musikerklärers

Wer einmal ein Konzert von und mit Nikolaus Harnoncourt besuchte, hat gewiss noch seine bildreiche Einführung im Ohr, mit der er die Türen und Fenster zur Musikwelt öffnete oder manchmal überschwänglich eintrat (freilich nur verbal), um ohne Umschweife zum Kern eines Werks vorzudringen. Das spürt man auch in den Bremer Aufnahmen aus den 1970er Jahren. Und das macht das Hörerlebnis heute so spannend wie damals. Jede Erklärung erzeugt sofort ein Bild vor Augen, ein Gefühl im Bauch. Und wenn er beim Erklingen eines Septakkords fragt: "Spüren Sie, wie Sie sich gleich innerlich aufrichten?", sieht man förmlich einen vollen Saal aus der gebückten Zuhörerhaltung in eine hellwache, aufmerksame Position emporwachsen.

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