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Die Verkabelung Wiens
Der Wiener Untergrund hat schon viele Kabel zu Gesicht bekommen. Dafür ist nicht zuletzt die k.k. Post- und Telegraphenverwaltung verantwortlich. Heute sind es die oberirdischen Straßennarben, die darauf hinweisen, wie dicht der Kabelsalat unter den Fußwegen der Stadt sein muss.
13. März 2022, 02:00
"Es dürfte als Tatsache hingestellt werden, dass auf längere Zeit bei der fortschreitenden Entwicklung des Telephonverkehrs in grossen Städten mit dem jetzigen Systeme der Luftleitungen nicht auszukommen ist." C. L. Madsen, Director der Telephon-Gesellschaft zu Kopenhagen, 1984.
In diesem Jahr debattierte man nicht nur beim Elektrotechnischen Verein Wien über den Einsatz von „Luftkabeln“ in der Telefonie. Das Wort Verkehr hatte damals nichts mit Autoverkehr zu tun, und die Telefonie war in Wien, wie in Paris, New York oder Kopenhagen, eine Verkabelung der Metropolen in luftigen Höhen. Nicht Kanaldeckel, sondern Oberleitungen prägten in den Anfängen das Bild zur Telekommunikation.
Ein Kabel in der Luft, ein weiteres unter der Erde
Dabei war Wien im 19. Jahrhundert eigentlich sehr experimentierfreudig. Auf Erdverkabelung setzte man hier bereits 1881. Die Lizenz dafür besaß die Wiener Privat-Telegraphen Gesellschaft. Um Störgeräusche und das Überspringen der Signale bei der Übertragung zu unterbinden, setzte sie auf die Endbündelung der Signale. Ein Kabel in der Luft, ein weiteres unter der Erde. Eines diente dem Anruf, ein weiteres dem Rückruf. Auf diese Weise wollte man die Abonnenten der ersten sechs Telefonleitungen in Wien und wohl auch die Aktionäre mit Qualität überzeugen.
Das Vierteltelefon
Aber dieser Luxus währte nur kurz. Je mehr Festnetzanschlüsse es gab, umso mehr Platz wurde für die Kabel gebraucht. 100 Jahre nach der Einführung der Telefonie in Wien redete niemand mehr vom Luftverkehr und in den Mietwohnungen niemand mehr von der eigenen Leitung. Die staatliche Post- und Telegrafenverwaltung setzte auf das Vierteltelefon. Vier Wohnungen teilten sich eine Kupferleitung. Dieser Rückschritt im Fortschritt prägte Jahrzehnte später auch die Anfänge der Datenkommunikation in den Studentenwohnungen. Um seine E-Mails abzurufen wartete man geduldig darauf, dass nebenan das Gespräch beendet und der Hörer aufgelegt wurde.
Vernetzung für die akademische Forschung und Lehre
Besser hatten es da die Universitäten. Das Anfang der 1970er Jahre gegründete Ministerium für Wissenschaft forcierte nicht nur die Computerisierung, sondern auch die Vernetzung für die akademische Forschung und Lehre. Dafür fand man eine salomonische Lösung: Die TU Wien - damals noch Technische Hochschule - bekam das Rechenzentrum, während der Universität Wien die Datenkommunikation zugesprochen wurde. Die ersten Kabel, die die beiden Universitäten verbanden, wurden entlang der ersten Wiener Unterpflasterstraßenbahn verlegt, der heutigen U2.
Das Kabel verband die Uni Wien mit der Großrechenanlage der TU in der Gußhausstraße. Allerdings wurde es den Akteuren untersagt, ihre Kabel gleichzeitig mit dem Bau der U-Bahn zu verlegen. Vielmehr musste das Team der Uni Wien rund um Peter Rastl und Hermann Steinringer ihren eigenen Bautrupp organisieren und die Straße aufgraben. Mehr Rechenleistung, das war auch vor 40 Jahren ein Traum, der vieles in Bewegung setzte.
Heute sind es die oberirdischen Straßennarben, die darauf hinweisen, wie dicht der Kabelsalat unter den Fußwegen der Stadt sein muss. Es sind die Kanaldeckel, die das Kommen und Gehen von Providern und Monopolen dokumentieren.
Gestaltung und Text: Mariann Unterluggauer