Marin Alsop

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Das Ö1 Konzert

Marin Alsops "Wunderbarer Mandarin"

Marin Alsop kombiniert Bühnenmusik aus dem frühen 20. Jahrhundert mit Zeitgenössischem. Die 1921 zur Uraufführung gekommene Tanz-Suite "Das Nusch-Nuschi“ von Paul Hindemith und Béla Bartóks einaktige Pantomime "Der wunderbare Mandarin" mit zwei Österreichische Erstaufführungen: das Cellokonzert des Australiers Brett Dean und Charlotte Brays "The Flight of Bitter Water".

Der Kurswert der Oper sank in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen. Zu emotional, zu pompös, zu ausdrucksvoll. In einem kurzen Lebenslauf für die ersten Donaueschinger Musiktage 1922 spielte Paul Hindemith seine eigenen Opern kokett herunter: „Als Komponist habe ich meist Stücke geschrieben, die mir nicht mehr gefallen. Auch drei einaktige Opern, die wahrscheinlich die einzigen bleiben werden, da infolge der fortwährenden Preissteigerungen auf dem Notenpapiermarkt nur noch kleine Partituren geschrieben werden können.“

Eine derbe, aber witzige Zote

Es blieben selbstverständlich nicht seine einzigen Opern, aber seine wildesten. Das Schlussstück der Trilogie, Sancta Susanna, präsentierte RSO-Chefdirigentin Marin Alsop bereits bei ihrem Antrittskonzert 2019 im Konzerthaus. Im Musikverein am 3. Februar 2022 (in Ö1 am 11. 2. zu hören) folgt ein Ausschnitt aus dem Mittelstück der Trilogie: Das Nusch-Nuschi, eine derbe, aber witzige Zote von Franz Blei, original als Marionettenspiel verfasst.

Eine wüste Geschichte über Zuhälterei, Prostitution, Mord

Der ungarische Komponist Béla Bartók zog der Oper das Ballett vor. Nach der skandalösen Pariser Premiere von Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ 1913 stand diese Gattung mit einem Schlag im Mittelpunkt. Musik nicht als „tönend bewegte Form“, nicht als Glasperlenspiel, sondern in unverstellter Körperlichkeit, scharfer Klanglichkeit und vitaler Rhythmik. Bartók fand in der Pantomime Der wunderbare Mandarin von Menyhért Lengyel den geeigneten Stoff: eine wüste Geschichte über Zuhälterei, Prostitution, Mord und die Macht der Erotik. Bei der Uraufführung 1926 in Köln empörte sich das Publikum derart, dass der Oberbürgermeister der katholischen Stadt - ein gewisser Konrad Adenauer - jede weitere Aufführung verbot. Bartók verstand, dass sein Ballett es schwer haben würde, und extrahierte eine gekürzte Konzertfassung mit neuem Schluss.

Der wunderbare Mandarin gilt heute als eine der aufregendsten und mitreißendsten Partituren der gesamten Konzertliteratur. Bartók-Biograf Tadeusz Zieliński hat den Mandarin zum Hauptwerk des „Vitalismus“ erklärt - ein Etikett, das Bartóks rhythmische Energie ins Auge fasst und ihn von Schönberg abgrenzt, indem bei Bartók der Rhythmus als Bedeutungsträger von Gestalten die Melodik übertrumpft.

Zwei österreichische Erstaufführungen

Im Konzert des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien stellt Marin Alsop diesen pulsierenden Werken aus der Zwischenkriegszeit zwei österreichische Erstaufführungen gegenüber. Da ist zunächst eine vom RSO mit in Auftrag gegebene Orchestermusik der britischen Komponistin Charlotte Bray (Jg. 1982), die wie Bartóks Mandarin mit turbulenten Großstadt-Klängen anhebt, bevor sich eine bleierne Stille über das Geschehen senkt.

The Flight of Bitter Water gehört zu den ersten Werken, die unmittelbar auf die Covid-19-Pandemie reagierten. Während Charlotte Bray in Österreich noch entdeckt werden muss, zählt der Australier Brett Dean zu den „alten Bekannten“ der Gegenwartsmusik. Der langjährige Bratschist der Berliner Philharmoniker macht als Komponist inzwischen international auf sich aufmerksam. Seine lebhafte, durch farbiges Vokabular überzeugende Musik ist nie abstrakt und findet zahlreiche Förderer unter Dirigent/innen und Solist/innen - darunter auch der Cellist Alban Gerhardt, für den Deans neues Konzert entstand.

Text: Christoph Becher, Intendant des RSO WIen