Ausstellungsansicht, Hexenmuseum in Dänemark

AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Diagonal

Hexen - Vorbild selbstbestimmter Weiblichkeit

Hexen sind imposante Projektionsfiguren. Sie lassen sich kulturell beliebig drehen. Von der Göttin aus dem Totenreich, der Dämonin, der machtbeflissenen Intrigantin bis zur selbstbestimmten, weisen Frau können Hexen alles sein. Denn Gesellschaften suchen so beharrlich nach Sündenböcken für ihr Unglück wie nach Zeichen ihrer spirituellen Macht und Vitalität.

Sie ist eine Dienstmagd im protestantischen Glarus, hat uneheliche Kinder und unerlaubte Affären. Jene zu ihrem einflussreichen Dienstherren, der deshalb um seine Karriere bangen muss, macht Anna Göldi zur letzten Hexe, die in der Schweiz öffentlich hingerichtet wird. Die Anklage anno 1782 lautet: Handlungen „mit übernatürlicher Kraft“ vollzogen, unter anderem Stecknadeln in die Milch einer seiner Töchter gezaubert zu haben. Ihren Pakt mit dem Teufel wird Anna Göldi unter Folter gestehen, die Enthauptung durch einen Scharfrichter als humaner Fortschritt des Strafvollzugs gefeiert werden. Immerhin wird Anna Göldi nicht verbrannt, gehängt, gerädert oder lebendig begraben. Erst 2008 wird sie rehabilitiert und der Justizmord, ein staatlicher Femizid, eingestanden.

Hexerei-Verdacht als praktisches Werkzeug

Es ist schwer, mit dem Zufall, mit Kontroll- oder Machtverlust zu leben. Wenn ein Unglück passiert, Unwetter, Seuchen, Hungersnöte die Menschen gängeln, Angst und Gier am Selbstbild rütteln, dann braucht es Schuldige. Die Suche nach Sündenböcken, geifernder Hass und unterdrücktes sexuelles Begehren stimulieren im 16. und 17. Jahrhundert die Hexenverfolgungen.

Der Hexerei-Verdacht erweist sich als praktisches Werkzeug, um die garstige Nachbarin, die lästige Geliebte, die kundige Heilerin oder die anklagende Vergewaltigte loszuwerden. Es ist ein irrwitzig grausamer Krieg gegen Frauen. 50.000 bis 100.000 - so die neuesten Schätzungen - kostet er in Europa das Leben. Frauen, die unangepasst, fordernd, alt, mittellos oder schlicht „im Weg“ sind.

Höhepunkt der Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit

Klerikal-patriarchale Willkür bestimmt das Wüten rund um die Scheiterhaufen. Ihre lodernde Hochzeit erleben sie nicht im dunklen Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit, als sich ein zunehmend verunsicherter Klerus, kapitalistisches Kalkül und irrationale Projektionen sowie eine durch die „Kleine Eiszeit“ ausgelöste Agrarkrise zu einer teuflischen Symbiose verbinden. Mit den Mitteln des Terrors lassen sich Rollenbilder festigen und Minderheiten in züchtige, gehorsame Bahnen lenken - wer verdient, wer Hausarbeit verrichtet, wer dazugehört, wer am Rande steht.

Gemälde von Thomas Satterwhite Nobel

AP

Fantasy-Schublade für Hexen, Drachen und Co.

Im 19. Jahrhundert ebbt der institutionalisierte Frauenhass ab. Der bürgerliche Lektürehunger der Romantik lässt die böse, kannibalistische Hexe im Märchen wiederaufleben, davor sorgen Vampire für europaweite Faszination. Diese unheimlichen Mittler des Totenreichs werden dann im 20. Jahrhundert gemeinsam mit den Hexen, Drachen und anderen Fabelwesen in die Fantasy-Schublade gezaubert. Wenn Otfried Preußlers „kleine Hexe“ ihre Zaubersprüche übt, um mit ihrem Besen auf dem Blocksberg mittanzen zu dürfen, oder Harry Potters beste Freundin Hermione ihr magisches Wissen erstrebert, scheint die Welt wieder in herziger Ordnung.

Neue feministische Leitfigur

Tatsache ist, dass das Irrationale in der Gegenwart jenseits der Bücher, Filme und Computerspiele mächtig geblieben ist. In Afrika haftet an Albinos, Zwillingen und unehelichen Kindern bis heute ein grausamer Aberglaube. Jedes Jahr kommt es zu Hunderten Verstümmelungen und Ritualmorden wegen Hexereiverdachts. Und dass der Vatikan Exorzismus-Kurse anbietet, um die „Befreiung von Dämonen“ zu schulen, ist kein schwurbelndes Hirngespinst von Dan Brown.

Als „Religion der Hexen“ sieht sich hingegen die synkretistische Wicca-Bewegung und pflegt naturverbundene Spiritualität, Kräuterwissen und holistische Kulte. Mit ihrem Bestseller Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen festigte die französische Essayistin Mona Chollet jedenfalls eine neue feministische Leitfigur: „Die Hexe verkörpert die von jeglicher Dominanz, von jeglichen Begrenzungen befreite Frau; sie ist ein anzustrebendes Ideal, sie weist den Weg.“

Gestaltung