Lars Eidinger

INGO PERTRAMER

Fotografie

Lars Eidinger in der Alba Gallery

Als neuer Jedermann verpasste er Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel eine Frischzellenkur und brachte Vokabeln wie "generderfluidity" ins kulturkonservative Salzburg. Lars Eidinger ist ein Schauspieler, der auf der Klaviatur der Aufmerksamkeitsökonomie so routiniert spielt wie kaum ein anderer. Egal ob auf der Bühne oder im Fernsehen, als Schauspieler, DJ oder Künstler. Dieser Tage hat der 46-Jährige Station in Wien gemacht. In der neu eröffneten Alba Gallery präsentiert sich Eidinger als Fotokünstler.

Der Geschmack einer in Tee getunkten Madeleine öffnet für den Ich-Erzähler in Marcel Proust Jahrhundertroman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ein Fenster zur Welt seiner Kindheit. Gleich mehrere Seiten widmet Proust dem Gebäck, um zu erörtert, wie ein Geruchs- und Geschmackserlebnis schlaglichtartig die Tiefen der kindlichen Erinnerung ausleuchtet. Dieses synästhetische Erlebnis wird darüber hinaus zum Katalysator des Erzählens.

Befreit von der großen Geste des Ästhetizismus macht auch Lars Eidinger in der Wiener Alba Gallery dieses Motiv zum Ausgangspunkt seiner Ausstellung: Eine in Plastik verpackte Madeleine steckt im Netz eines Autositzes. Eine scheinbar banale Momentaufnahme wird zum Emblem der Unendlichkeit der Jugend, die sich mit fortschreitendem Alter immer mehr verengt. Am Anfang der Ausstellung "Live" steht ein Bild, das verrät, wie Eidinger mit seinem fotografischen Blick, die Wirklichkeit neu rahmt, wie er das Detail aus dem Kontext herausschält und ihm somit eine gänzlich neue Bedeutung verleiht.

"Für mich steht diese Madeleine im Netz eines Autositzes für den Anblick, den man als Kind hat, wenn man vereist", sagt Lars Eidinger. "Wenn man als Kind in einem Auto gesessen ist, starrt man oft über Stunden auf so ein Detail. Proust behauptet ja, dass man über den Geschmack der Madeleine ganz konkrete Kindheitserinnerungen wachrufen kann. Dass diese Madeleine auf meinem Bild in steriles Plastik eingepackt ist, war für mich ein bedeutsames Motiv."

Das Assoziationscluster ist weitläufig, die Fallhöhe hoch

So mancher bezeichnet Lars Eidinger despektierlich als Wolfgang Tillmans für Arme. Dahinter steckt freilich auch eine gewisse Genervtheit ob Eidingers Dauerpräsenz auf allen Kanälen: Im "Tatort", in Salzburg, auf der Berliner Schaubühne oder auch im Club, wo Eidinger mit seinem Format "autistic disco" reüssiert: Dieser Mann, so scheint es, lässt nichts aus. Nun also entdeckt der Alleskönner auch die Kunst. Muss das wirklich sein?

Im Interview betont Eidinger, dass er seit frühster Kindheit fotografiert habe, weswegen die Ausstellung in der Alba Gallery das erste Bild zeigt, dass der gerade einmal Sechsjährige von seinem Hamster geschossen hat. "Ich habe immer fotografiert, aber es gab im Jahr 1999 für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich sah die Ausstellung 'How you look at it' im Frankfurter Städel Museum. Diese Schau beschäftigte sich mit der Geschichte der Fotografie", erinnert sich Eidinger. "Es klingt vielleicht blöd, aber ich habe meine Fotografien in dieser Ausstellung wiedergefunden und habe überhaupt erst realisiert, dass das, was ich fotografiere, Relevanz hat, dass es noch andere Leute gibt, die sich einfach nur für Gegenstände oder Objekte interessieren."

Muss das wirklich sein?

Seit vergangenen November zeigt die Kunsthalle Hamburg Arbeiten Lars Eidingers im Dialog mit flämischen Meistern. "Klasse Gesellschaft" lautet der bewusst doppeldeutige Titel der Schau, der Eidingers Interesse für gesellschaftliche Schieflagen verrät. Denn tatsächlich geht es in diesen Bildern mitunter um die feinen Unterschiede, immer wieder aber auch um die großen Bruchlinien, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen. Etwa wenn der Fotokünstler ein gutbürgerliches Salzburger Paar ablichtet, das gemütlich auf einer Parkbank sitzt, während im Hintergrund Obdachlose in einer slumartigen Zeltstadt ihr kümmerliches Dasein fristen.

Mit seinen spontanen fotografischen Interventionen will Lars Eidinger die blinden Flecken der Wahrnehmung ausleuchten, sichtbar machen, was gemeinhin übersehen wird. "Es ist sicher ein Impuls für meine Arbeit, Phänomene sichtbar zu machen, die wir ausblenden und nicht sehen wollen", erläutert Eidinger. "Ich möchte einerseits mich selbst mit diesen Phänomenen konfrontieren, andererseits möchte ich verstehen, warum wir darüber einfach hinwegsehen."

Lars Eidinger, St. Petersburg, 2015

Lars Eidinger, St. Petersburg, 2015

LARS EIDINGER

Der Shitstorm

Wenn ein Schauspieler wie Lars Eidinger, der den Glamour und Eskapismus der Berliner Partygesellschaft verkörpert, sich bevorzugt den Deklassierten widmet, ist der Dekadenzverdacht nicht weit. Gemeinsam mit Philipp Bree gestaltete Eidinger eine Tasche, die sich am Design einer Aldi-Tüte orientiert - zu erwerben ist diese um satte 550 Euro. Als Lars Eidinger mit eben dieser Tasche vor einem Obdachlosencamp posierte und dieses Bild auf seinem Instagram-Kanal publizierte, erntete er einen riesigen Shitstorm und das deutsche Feuilleton kannte tagelang kein anderes Thema.

"Natürlich sind diese Aufnahmen nicht frei von Konflikten. In dem Moment, in dem ich mich hinstelle und zum Beispiel Obdachlosigkeit festhalte, merke ich, dass mich die Situation aufregt. Diese Konfrontation lässt mich nicht unberührt. Diese große mediale Erregung war eine Reaktion auf einen Post auf meinem Instagram-Kanal, der als Präsentationsplattform für meine Kunst eigentlich gar keine allzu große Bedeutung hat."

Visuelle Notizen im virtuellen Showroom

Lars Eidinger ist erfolgsverwöhnt und doch scheut er sich nicht davor zu polarisieren. Als Schauspieler - egal ob am Bildschirm, auf der großen Leinwand, oder auf der Bühne -, zählt der 46-Jährige zweifellos zu den großen Könnern seines Fachs. Als Fotograf beschreitet Eidinger Pfade, die bereits andere vor ihm erkundet haben. Dass Eidinger die Bedeutung seines eigenen Instagram-Kanals mit 185 Tausend Followern seiner Fotografie kleinredet, ist schade. Denn gerade die Flüchtigkeit des virtuellen Showrooms macht aus Eidingers visuelle Notizen und Skizzen Fragmente einer Chronologie des Zufalls, die poetische Sogwirkung, ja mitunter politische Sprengkraft entfalten. Ob es das Format der großen Ausstellung zwingend braucht, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Service

Alba Gallery - Die Ausstellung "LIVE/EVIL" ist noch bis zum 26. März zu sehen

Gestaltung