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S. FISCHER

Leibniz-Biografie von Michael Kempe

"Die beste aller möglichen Welten"

Gottfried Wilhelm Leibniz gilt als der große universale Denker zwischen Barock und Aufklärung, der aber auch für die Gegenwart einige Relevanz besitzt. So waren seine Ideen grundlegend für die digitale Revolution und sein Diktum von der "besten aller möglichen Welten" hat in der Philosophie heftige Debatten ausgelöst.

Wer meint, die Zerrissenheit des Denkens, wäre ein Phänomen unserer Gegenwart, der sollte einen Blick auf den Schreibtisch von Gottfried Wilhelm Leibniz werfen. Seine großen Papierbögen beschreibt er kreuz und quer, je nachdem aus welcher Richtung gerade die Ideen heranschießen. Danach zerschneidet er die Bögen in lose Zettel und Streifen, sie auch zu ordnen, dazu kommt er oft gar nicht mehr.

Schreiben war für Leibnitz wie Essen oder Atmen

"Leibniz ist ein Vielschreiber gewesen, ein Graphomane", so Michael Kempe. "Schreiben war für ihn wie Essen oder Atmen. Man hat oft das Gefühl, er ist morgens schreibend aufgestanden und abends schreibend ins Bett gegangen, und auf diese Weise hat er 100.000 beschriebene Seiten hinterlassen, die bis heute nicht vollständig bearbeitet und ediert sind."

Ein Pionier des digitalen Zeitalters

Leibniz stand zwischen der tiefen Religiosität des Barock und der beginnenden Aufklärung und hatte deshalb Gott und Vernunft auf einen Nenner zu bringen. Das gelang ihm, indem sein Gott nicht willkürlich und geheimnisvoll handelte, sondern nach den Regeln der Logik. Seine beste aller möglichen Welten meint deshalb auch keine paradiesische, sondern eine, in der Gutes und Übles so aufeinander abgestimmt sind, dass ihr Wechselspiel Entwicklung und Fortschritt erlaubt.

Weil Gott auch der höchste Mathematiker war, lag der Gedanke nicht fern, die Welt der Erscheinungen in Zahlenfolgen zu übersetzen. Leibniz war nicht der Einzige, der die Idee eines binären Codes hatte, aber einer seiner maßgeblichen Verfechter, sagt Michael Kempe: "Leibniz war insofern nicht nur ein Ideengeber für den digitalen Code, sondern auch ein Impulsgeber für die moderne Informatik, sie sich damit beschäftigt, wie man sinnhafte Begriffe und Wörter in sinnneutrale Zeichen übersetzen und mit ihnen rechnen kann."

Die sieben Tage des Gottfried Wilhelm Leibniz

Dass man ganz dicht an Leibniz dran ist, wenn er Unmengen süßen Kaffee trinkt, denkt oder am Hof von Hannover mit der Kurfürstin plaudert, dafür sorgt ein genialer Kniff Michael Kempes. Er taucht in seiner Biografie nämlich an sieben Stichtagen in Leibniz Leben ein. So treffen wir den Meisterdenker etwa auch bei einem Wien-Aufenthalt 1714.

Das barocke Wien im Lockdown

Ein schlechtes Timing war das damals, denn in der Stadt grassierte gerade die Pest, und Leibniz konnte wegen des Lockdowns die von ihm geliebten Gaststätten und Kaffeehäuser nicht besuchen.

"Er beschreibt auch", erzählt Michael Kempe, "wie in einem Haus gegenüber, ein Pestkranker herausgetragen wurde. Er schreibt das in einem Brief an das Hoffräulein Klenke, denn er war ja auch in Wien, um die Nähe zur Macht zu suchen, also zum Kaiser. Er spielt den Fall aber herunter und meint das sei weit weg gewesen, weil er Angst hatte, er würde nicht mehr vorgelassen zum Hof."

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Der Rolling Stone in der gefederten Kutsche

Außer in Wien begegnen wir Leibniz auch in Paris und Berlin, viel unterwegs war der Denker damals, in einer besonders gefederten Kutsche, damit er unterwegs schreiben konnte. Einen "Rolling Stone" nennt Michael Kempe ihn: "Der Begriff Rolling Stone ist alt, er ist nämlich bereits in der frühen Neuzeit nachweisbar und meint Händler, Diplomaten, aber auch Spione, und ich habe diesen Begriff auf Leibniz angewandt, weil er sich selbst als amphibisches Wesen bezeichnet hat, weil er am liebsten zwischen den verschiedenen Höfen Europas hin- und herpendeln würde."

Michael Kempe zeichnet ein lebendiges Bild der damaligen Umbruchszeit und wie sie Leibniz Denken in die verschiedenen Richtungen warf und lenkte. Er zeigt aber auch den Menschen Leibniz abzüglich der übergroßen Allongeperücke, und der wirkt in seiner Rastlosigkeit und Getriebenheit erstaunlich gegenwärtig.

Service

Michael Kempe, "Die beste aller möglichen Welten - Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner Zeit", S. Fischer

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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